Lyrik schreiben, einen Verlag (mit-)gründen und so die eigene Sehnsucht leben: Die Berlinerin Petra Klingl hat es getan. In diesem Interview berichtet sie von ihrem Werdegang als Lyrikerin, von ihrer Liebe zur Gedichtform Haiku und von Deutschlands einzigen Haikuverlag Rotkiefer.
Für wen dieser Artikel besonders interessant ist:
- Berufseinsteiger, Berufserfahrene, Neustarter und Sehnsüchtige
In diesem Artikel erfahren Sie:
- Wie Petra Klingl zur Lyrikerin wurde.
- Wie Petra Klingl und Stephanie Mattner den Haikuverlag Rotkiefer gründeten.
- Was die Gedichtform Haiku auszeichnet.
- Welche Tipps Petra Klingl (angehenden) Lyrikern gibt.
- Linkempfehlungen.
- Literaturempfehlung.
Könntest Du Dich den Leserinnen und Lesern meines Blogs vorstellen?
Mein Name ist Petra Klingl, ich bin in Suhl geboren. In einem kleinen Dorf in Thüringen wuchs ich auf, bis zu meinem 18. Lebensjahr. Dann studierte ich vier Jahre in Berlin an der Humboldt Universität Landwirtschaft. Arbeitete danach drei Jahre in Brandenburg und kehrte wieder nach Berlin zurück. Heute lebe ich in Berlin-Spandau!
Während meiner Abiturzeit fing ich an Gedichte zu schreiben, obwohl ich das nie vorhatte. Bücher las ich schon immer gerne, auch weil wir zu Hause ein gut gefülltes Bücherregal hatten. Aber nie dachte ich daran selbst zu schreiben.
Aber dann änderte sich das. Was geschah?
Dann gab es ein Schlüsselerlebnis,als ich 17 Jahre alt war: ich entdeckte in einem Buchladen das Buch „ Das Gras des Vergessens“ von Valentin Katajew und diese Worte auf der Coverrückseite: „Ich schrieb schon einmal, daß ich in mir die Fähigkeit entdeckt habe, mich in alle möglichen Menschen, Tiere, Pflanzen, Steine, Gebrauchsgegenstände zu verwandeln, ja selbst in abstrakte Begriffe wie Subtraktion und ähnliches.“
Dieser Satz elektrisierte mich und setzte sich in meinem Kopf fest, ließ mich nicht mehr los. Ich begann Gedichte zu schreiben. Und ich schrieb Gedichte ohne Ende. Wenn ich sie heute lese … nun, es waren wenig gute dabei. Bei vielen muss ich heute noch herzlich lachen. Aber damals las ich sie überall vor, wo es die Möglichkeit gab und gestaltete Abende im Schulclub. Ich erhielt viel Zuspruch, aber nur, weil sonst keiner welche schrieb. Einzelne wurden sogar gedruckt, in die Tageszeitung „Die Junge Welt“. Während meiner Studienzeit in Berlin gehörte ich dem Junge Welt Lyrik – Club an. Das war eine kreative Zeit.
Nach dem Studium hatte mich DAS LEBEN: Arbeit, Kind, Heirat, Familie, Scheidung u.s.w. Außer vielen Notizen, Fragmenten, gesammelt in Kartons ,fand schreibmäßig nix statt. Erst 2010 während einer Aufräumaktion fand ich dieses Sammelsurium wieder und hatte große Lust wieder zu schreiben. Ich begann ein Lyrikfernstudium, um wieder in die Spur zu kommen.
Entdeckung: Haiku
In einer Lektion wurde das kleinste Gedicht der Welt vorgestellt: HAIKU. Es wurde von nun an meine Leidenschaft. Seit 2010 bin Mitglied in der Deutschen Haiku-Gesellschaft – DHG und bin seit 2015 im Vorstand. Auch gründete ich 2015 die Berliner Haikugruppe.
Diese Interview-Serie heißt „Sehnsucht Buch“. Du hast Deine Sehnsucht verwirklicht und vor einigen Wochen einen Verlag gegründet. Wie kam es dazu, welche Sehnsucht trieb Dich an?
Den Verlag gründetet ich gemeinsam mit Stephanie Mattner. Ohne sie hätte ich es nicht gewagt. Sie gestaltet unsere wunderschöne Webseite: www.rotkiefer-verlag.de. Sie hat unendlich viele künstlerische Ideen, gestaltet schöne und anspruchsvolle Bücher. Ich bin jedes Mal begeistert.
Nun, wie kam es zur Verlagsgründung?
Als ich in die DHG eintrat gab es den Hamburger Haikuverlag. Auf Buchmessen und Lyrikmärkten verkaufte ich dessen Bücher. Das machte mir viel Spaß und sie verkauften sich gut. Vor ca. drei Jahren schloß er seine Pforten. Das fand ich sehr schade und so nach und nach reifte in mir die Idee, einen Haikuverlag zu gründen. Ich erzählte es Stephanie, sie erwärmte sich sehr schnell für diesen Gedanken und von Buchmesse zu Buchmesse wuchs bei uns die Sehnsucht. Und nun – 2020 – gibt es ihn: unseren Haikuverlag! Die Reise beginnt.
Er ist nicht der erste, aber im Moment der einzige Haiku-Verlag im deutschsprachigen Raum. Es gibt noch Eigenverlage, deren Besitzer ausschließlich die eigenen Bücher herausbringen.
Ich erlebe immer wieder, dass viele gute Haikuschreiber ihr Buch in BoD-Verlagen publizieren oder in einem anderen vielschichtigen Verlag. Es erhält dann nicht die Aufmerksamkeit, die ihm zusteht.
Hat der Verlag noch ein weiteres Ziel?
Haiku ist die einzige Poesieform, die auf der ganzen Welt verbreitet ist. Es wird inzwischen in allen Ländern der Welt geschrieben.
Ich denke, durch einen speziellen Haikuverlag wird diese fesselnde Gedichtform aufgewertet und bekommt die Wertschätzung, die es verdient.
Haiku: Das eigene Erleben in Worte fassen
Du schreibst selbst Haikus, verlegst sie und leitest eine Haiku-Gruppe. Was fasziniert Dich an dieser japanischen Gedichtform?
2010 lernte ich das Haiku kennen. Es schien alles ganz einfach: Naturgedicht, 5-7-5 Silben aufgeteilt auf drei Zeilen. Ich dachte: „Wow, so einfach geht das. Man nimmt ein Ereignis aus der Natur und schreibt es nach diesem Muster auf.“ Ich schrieb wie wild, reichte auch gleich vier meiner „Werke“ für eine Biobibliographie der Haiku-Gesellschaft ein. Ich zeigte während einer Mitgliederversammlung stolz meine Seite und erfuhr: Die Silben stimmen, aber es hat nichts mit Haiku zu tun.
Haiku ist eben nicht nur ein 5-7-5 Gedicht, es viel spannender. Es beschreibt immer einen Augenblick, den man in der eigenen Umgebung erlebt und beschreibt ihn so, dass er vom Leser durch eigene Gedanken ergänzt werden kann.
Und mich fasziniert das Ringen darum, das Haiku mit einfachen Worten so zu schreiben, dass im Kopf des Lesers eigene Gedanken entstehen.
Wahrnehmen, was ist
Was kann diese Gedichtform Menschen geben?
Unser Leben beginnt jeden Tag am Morgen mit dem Aufstehen und endet am Abend mit dem Einschlafen. Dazwischen erleben wir zahlreiche Begebenheiten und viele davon können der Inhalt eines Haiku werden.
Aber oft nehmen wir dieses Hier und Jetzt nicht bewusst wahr. Wer sich mit dem Haiku beschäftigt, übt sich darin, den Blick auf die eigene Umgebung zu richten und viele kleine Dinge wahrzunehmen und ins Herz zu lassen.
Die Beschäftigung mit dem Haiku verhilft jedem dazu, seiner unmittelbaren Umwelt wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Jeder wird erstaunt sein und vieles Alltägliche neu entdecken.
In unsere Zeit der Twitterperlen, Facebook, Instagram und Co., wo es darauf ankommt, sich so kurz wie möglich mitzuteilen, passt diese kurze Poesieform perfekt.
Tipps für Schreibende
Viele Menschen wünschen sich, literarisch tätig zu sein … so, wie Du es auch bist, aber sie trauen sich nicht. Was rätst Du ihnen?
Zuerst einmal schreiben, schreiben, schreiben und wenn es für die Schublade ist. Für jede Sparte gibt es im Internet Foren oder Anleitungen. Dort kann man sich gut orientieren in welche Richtung es gehen soll.
Sehr hilfreich ist es, sich mit Gleichgesinnten über die eigenen Texte auszutauschen, um durch die direkten Reaktionen Tipps und Hinweise zu erhalten. In Berlin gibt es viele offene Lesebühnen und Werkstätten. Viele finden zur Zeit nur digital statt. Wenn man sich sehr unsicher ist, dann rate ich dazu, sich an einen Mentor zu wenden. Auf alle Fälle locker bleiben und nicht zu schnell zu viel wollen. In der Ruhe liegt die Kraft.
Einen Verlag zu gründen, Lyrik zu schreiben … das weckt nicht bei jedem Wohlwollen und Verständnis. Wie sind die Menschen in Deiner Umgebung damit umgegangen? Und wie sehen sie Deine Tätigkeit heute?
Direktes Unverständnis oder Ablehnung habe ich nicht erlebt. Jedenfalls nicht offen. Ab und zu fand man meine Lyrik nicht gut , aber das ist sowieso Geschmacksache.
Zur Verlagsgründung erhielten wir viele positive Reaktionen und gute Wünsche. Jemand bezeichnete sie als mutig. Stephanie brachte es auf den Punkt: Mutig ist, wenn jemand aus einem brennenden Haus einen Menschen rettet. Für mich ist das alles ein Abenteuer und bereichert meinen Alltag ungemein.
Einfach machen
Was würdest Du anderen raten, die einen solchen Weg wie Du einschlagen wollen? Was sollen Sie tun, was lassen?
Mit Freude und Spaß an die Sache herangehen. Nichts über das Knie brechen und genügend Informationen für neue Unternehmungen einholen und alle Für und Wider abwägen. Und dann einfach machen.
Bunin – ein russischer Schriftsteller – riet einem angehenden Schriftsteller: „Die Kunst verlangt Selbstständigkeit. Das lässt sich erlernen. Und dann wird sich vor Ihnen die unendliche Weite wahrer Poesie auftun. Ihnen wird leichter werden.“
Fragen an Sie:
Ich freue mich, dass Sie diesen Artikel gelesen haben! Jetzt möchte ich Ihnen ein paar Fragen stellen:
- Wollen Sie Autorin oder Autor werden?
- Wollen Sie von Ihren Büchern leben?
- Was treibt Sie an und was ist Ihre Sehnsucht?
- Wenn Sie selbst schon Autorin oder Autor sind: Welche Tipps würden Sie Anderen geben?
- Gefällt Ihnen der Artikel? Ist er hilfreich? Dann würde ich mich über einen Like auf meiner Facebookseite freuen!
Bitte schreiben Sie auch einen Kommentar! Vielen Dank!
Meine Literaturempfehlung:
- Petra Klingl: Haiku schreiben (Leitfaden), 24 Seiten, Rotkiefer Verlag, 5 Euro
Meine Linkempfehlungen:
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(Copyright 2020 by Anja Schreiber)
Ein lesenswertes Interview über das Abenteuer, einen Verlag zu gründen und eine Gedichtform zu retten.
Herzlichen Dank für den Kommentar! Liebe Grüße Anja Schreiber
Wer Petra Klingl kennt, weiß dass es für sie kaum eine Hürde gibt, die sie nicht mit großer Tatkraft, Vertrauen in sich selbst und jener Portion Herzlichkeit, gepaart mit dem ihr eigenen Berliner Witz zu meistern verstünde. Eine Frau, die über das klassische Gedicht zum Haiku vorgestossen ist und in dieser Gedichtform ihre Heimat gefunden hat.
Sie ist nicht nur Mitglied in der Deutschen Haiku-Gesellschaft e.V. und mittlerweile auch fester Bestandteil in deren Vorstandsetage, sondern leitet in Berlin auch einen von ihr gegründeten Haiku-Zirkel und darf mittlerweile auch auch auf eigene Veröffentlichungen nicht nur in “SOMMERGRAS” (eine viermonatliche erscheinende Zeitschrift der DHG e.V. -s. o.-) von sich reden macht, sondern auch mit eigenen Büchern punkten kann. Die Gründung eines eigenen Haiku-Verlags war somit fast schon “unvermeidbar”.
Aus persönlicher Sicht kann ich bestätigen, dass die Beschäftigung mit dem Haiku und insbesondere die Mitgliedschaft in einer Gesellschaft oder einem Verein, wie der in Berlin, zur Bereicherung des eigenen Lebens beitragen kann. Die Beschäftigung mit der Materie Haiku ist spannend und das Miteinander mit Gleichgesinnten eine Bereicherung. Machen Sie sich also auf den Weg, nehmen Sie Kontakt auf und lassen Sie sich nicht demotivieren, wenn die ersten Versuche nicht für dn Literaturnobelpreis taugen …. obwohl ….
Herzlichen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar und die Ermutigung Haikus zu schreiben! Beste Grüße Anja Schreiber
Gedichte kennt man gewöhnlich noch aus dem Deutsch-Unterricht, verbindet diese mit Goethe, Mörike und viele andere Klassikern der Literaturgeschichte, bis man irgendwann auf Erich Fried, Eugen Roth, Peter Rühmkorf, Robert Gernhardt, Heinz Erhardt, Ringelnatz, Rilke und andere stösst, deren Werke zumindest mich eher in den Bann gezogen haben, als jene der alten Meister. Man liest, ist oft fasziniert, bis es dann ebenfalls einmal “klick” macht, es mit einem eigenen Gedicht zu versuchen. Die eigenen Gefühle in Reime oder Prosa zu fassen, kann ein Mittel sein, sich etwas von der Seele zu schreiben (von Verliebt bis hin zum Liebeskummer oder als Nachruf auf einen Verstorbenen usw.) bis man auf diesem Weg zu einem ersten, eigenen Gedicht kommt. Petra Klingl ist dies vielfach gelungen, wie sie beeindruckend wie bewegend schildert, bis die Lebensumstände andere Abläufe bestimmten, zunächst eine Pause eintrat und sie -wie auch immer- mit einer aus Japan stammenden Gedichtform, dem Haiku, konfrontiert wurde, welches dann zu einem festen Bestandteil ihres Lebens wurde und ist. Mit einer Handvoll Silben Bilder zeichnen zu können, die sich in den Köpfen der Leser zu eigenen Geschichten formieren, nachdenklich oder betroffen machen, ist eine Kunst, die viel Gefühl für Situationen, Lebensumstände, Beobachtungen, Erlebnisse, Landschaften, Natur usw. erfordert, die vom Leser aufgegriffen, erweitert oder mit eigenen Erfahrungen verglichen werden können. Insoweit könnte die Buchempfehlung vielleicht auch für Sie der Anfang für ein “Hobby” werden, das sie nicht nur mit vielen Gleichgesinnten in Verbindung bringen kann, sondern auch sie selbst begeistert und zu stets neuen Texten animiert …. Aber selbst, wenn man sich nicht zum Lyriker oder zur Lyrikerin berufen fühlt, kann das Lesen von Haiku bereichernd sein. Der Rotkiefer Verlag zeigt sich ambitioniert und steht den Haiku-Novizen (da kenne ich Petra Klingl seit vielen Jahren nur zugut) sicherlich hilfreich zur Seite, bis vielleicht auch von Ihnen ein Buch mit eigenen Haiku entsteht und gedruckt wird. Meine Empfehlung: “Trauen Sie sich einfach etwas zu …”
Herzlichen Dank auch für den zweiten Kommentar! Beste Grüße Anja Schreiber