Manche Berufstätige lehnen Macht ab, andere haben Angst davor und wieder andere wollen sie unbedingt erringen. Doch wie geht man produktiv mit Macht im Job um? In diesem Interview mit Coach und Buchautorin Dr. Sylvia Löhken geht es zum Beispiel um Angst vor der Macht. Die Vortragsrednerin erklärt auch, warum Macht wichtig ist, um berufliche Ziele zu erreichen.
Für wen dieser Artikel besonders interessant ist:
- Sehnsüchtige, Berufserfahrene, Berufseinsteiger und Neustarter.
In diesem Artikel erfahren Sie:
- Warum Menschen Angst vor Macht im Job haben.
- Wie Menschen die Angst vor der Macht überwinden.
- Die Sonnen- und Schattenseite der Macht.
- Wie man sinnvoll mit Macht umgehen kann.
- Literaturempfehlung.
- Linkempfehlungen.
Viele Berufstätige haben im Job Angst vor der Macht der Anderen. Wovor haben Berufstätige dabei genau Angst?
Angst ist ein Gefühl, das uns heimsucht, wenn wir den Eindruck haben: Ich komme mit dieser Situation mit meinen eigenen Kräften und Möglichkeiten nicht klar. Ich bin ihr ausgeliefert, ich bin hilflos, ich bin in Gefahr.
Das passiert jenseits formaler Hierarchien: Ein Mitarbeiter kann Angst vor der Vorgesetzten haben, weil er sie als willkürlich oder voreingenommen empfindet. Dieselbe Vorgesetzte kann aber auch Angst vor dem Mitarbeiter haben, weil sie fürchtet, dass er seine guten Kontakte zu ihrem schärfsten Konkurrenten zu ihrem Schaden nutzt.
Ganz wichtig: Die Stärke unserer Angst sagt nicht viel darüber aus, wie berechtigt die Angst ist. Sie hat aber sehr viel mit unseren Vorerfahrungen zu tun. Um im Beispiel zu bleiben: Wenn die Vorgesetzte schon einmal Mobbing-Opfer war, wird sie Signale des Mitarbeiters wahrscheinlich als gefährlich einstufen, auch wenn der gar nichts Böses im Schilde führt.
Insofern können wir im Beruf vor verschiedenen Dingen Angst haben: davor, dass Andere uns etwas wegnehmen, uns einengen, uns schaden, uns für ihre Zwecke ausnutzen. Besonders intensiv kann die Angst dabei werden, wenn wir uns selbst schwach und ausgeliefert fühlen. Dazu gehört auch unser Verhältnis zu den Mitmenschen: Es macht Angst, wenn wir nicht auf die Unterstützung der Kollegen oder den Schutz der Vorgesetzten zählen dürfen. Umgekehrt gilt übrigens auch: Je zuverlässiger und vertrauenswürdiger wir selbst sind, desto weniger ängstliches Unbehagen lösen wir bei unseren Gegenübern aus.
Angst vor der Macht der anderen
Ist den Menschen das Problem mit der Macht immer bewusst oder versteckt es sich hinter anderen Symptomen wie Antipathie, Neid oder Wut? Warum ist das so?
Antipathie, Neid und Wut sind Gefühle, die als unangenehm oder negativ empfunden werden. Macht ist dagegen eine Kraft, die uns ins Verhältnis zu unserer Umwelt und zu uns selbst setzt. Anders als die genannten Emotionen ist die Macht an sich erst einmal neutral, sie ist und birgt zunächst einmal reine Energie. Ganz einfach lässt sich diese Neutralität mit einem Tomatenmesser vergleichen: Es lässt sich nutzen, um eine Tomate zu schneiden. Oder als Mordinstrument. Mit der Macht ist es ebenso: Ich kann sie für mich und andere nutzen – oder ich kann sie missbrauchen und andere Menschen einengen oder unter Druck setzen.
Zum Problem wird der Blick auf unsere eigene Macht dann, wenn wir nur die zweite, negative Seite sehen. Oder wenn uns der Blick auf unsere eigene Macht ängstigt oder von uns als Tabu behandelt wird.
Angst vor der eigenen Macht
Haben Menschen auch Angst vor ihrer eigenen Macht? Und wenn ja, was sind die Gründe dafür?
Die Gründe für die Angst vor unserer eigenen Macht liegen fast immer in der Vergangenheit: Dort haben wir – hier ist der erste Grund – schmerzhafte Erfahrungen gemacht oder Gefahren erlebt, die – oft unbewusst und unausgesprochen – in unseren Gehirnen verankert sind. In Situationen, die als ähnlich empfunden werden, will das Gehirn uns warnen, um uns zu schützen. Gut gemeint, aber enorm hemmend. Und auch nicht akkurat: Gefühle sind eben nicht akkurat.
Ein zweiter Grund liegt darin, dass wir in Kindheit und Jugend auch von unseren Bezugspersonen „lernen“, wie wir Dinge bewerten sollten. Wenn ich also in einer Familie aufwachse, in der Macht als etwas Schlimmes gilt, dann werde ich auch selbst nur schwer einen positiven Zugang zur Macht entwickeln, anders als jemand, der Macht mit Gestaltungsmöglichkeiten, Verantwortung und Autonomie verbindet.Gut ist, wenn wir es schaffen, die Energie des Vorgefallenen von den Negativemotionen bewusst zu trennen.
Können Sie ein konkretes Beispiel dazu erzählen?
Nehmen wir noch einmal das Beispiel von oben. Die Vorgesetzte wurde als Kind von einer Gruppe Mädchen gemobbt, die eine verschworene Gemeinschaft waren und dadurch viel mehr Macht hatten als einzelne Kinder oder eine lockere Gruppe. Die Gemobbte fühlte sich völlig machtlos und ausgeliefert. Wenn sie versuchte, die Situation zu ändern, wurde diese nur schlimmer. Das hat sich im Gefühlszentrum ihres Gehirns tief eingeprägt. Nun trifft sie in ihrer neuen Stelle auf einen Mitarbeiter, der innerhalb der Firma in einem Netzwerk mit anderen Menschen eng verbunden ist und auch Zugang zu Informationen und Menschen hat, die über das normale Maß weit hinausgehen.
Also schlägt ihr Gehirn Alarm: Nach den Erfahrungen der Vergangenheit droht der Frau Gefahr. Und sie hat womöglich Angst, die eigene Macht als Vorgesetzte zu ihrem Schutz einzusetzen: Es wurde ja dann in der Vergangenheit erst recht furchtbar.
Wenn die Vorgesetzte dann noch von den Eltern und Geschwistern lernen musste, dass Macht etwas Böses ist, dass nur böse Menschen Macht über andere haben: Dann wäre das ihr zweiter Grund, den eigenen Möglichkeiten zur Wirksamkeit nach innen und außen gründlich zu misstrauen.
Angst überwinden
Was ist in diesem Fall eine Lösung?
Gut ist, wenn die Vorgesetzte es schafft, den Ursachen ihrer Gefühle und Gedanken auf den Grund zu kommen – etwa mit einem Coach ihres Vertrauens. So kann sie den Weg von einer ihren Gefühlen ausgelieferten Person zu einer selbstwirksamen und selbstbestimmten Persönlichkeit gehen.
Sollten Berufstätige ihre Angst vor der Macht unbedingt überwinden oder ist diese Angst sogar sinnvoll?
Wer etwas vorhat, wer sich Ziele vornimmt, wer sich und vielleicht auch andere Menschen und Dinge entwickeln will: Eine solche Persönlichkeit benötigt dazu die Lizenz zum Mächtigsein. Wer all dies nicht mag und will, sondern eher Angst vor Menschen oder Situationen hat: Eine solche Persönlichkeit hat mehr als nur ein Fremdeln mit der Macht: Sie stagniert. Sie lässt sich kleinmachen. Sie lässt sich von anderen einspannen. Mir fallen keine guten Gründe ein, unter denen das sinnvoll ist. Ein solcher Zustand kann sogar krank machen. Halt, vielleicht gibt es doch einen Grund: Wenn es ums reine Überleben geht, dann ist das Klein- und Schwachsein vielleicht ein Preis, der in manchen Umgebungen zu zahlen ist.
Wie überwindet ein Mitarbeiter die Angst vor der Macht, wie überwindet diese eine Führungskraft?
Immer geht es um grundsätzliche Fragen: Was ist mir wichtig? Was will ich ändern? Wie schaffe ich das? Die Antworten sind für Führungskräfte natürlich andere als für Teammitglieder. Unterschiedlich sind die Auswirkungen, die die Angst vor der Macht bei Führungskräften hat: Wenn ich mich als Führungskraft ohnmächtig fühle, hat das für mein Team schwerwiegende Folgen. Beim Teammitglied sind die Auswirkungen geringer, manchmal fallen sie kaum auf.
Selbstwirksamkeit als Voraussetzung fürs Mächtigsein
Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Macht und Selbstwirksamkeit?
Selbstwirksamkeit setzt voraus, dass ich mir die Erlaubnis zum Mächtigsein gebe. Wenn ich die Macht nutze, die in meinen Möglichkeiten liegt, dann stellt sich Selbstwirksamkeit ein. Idealerweise nützt das auch anderen Menschen um mich herum: Mit meiner eigenen Ermächtigung gebe ich auch ihnen die Möglichkeit, selbstwirksam zu werden. Sonst läuft sie auf Bemächtigung hinaus, wirkt also asozial und autoritär. Das ist besonders für Führungskräfte wichtig.
Die Schattenseite der Macht
Wann wird Ihrer Meinung nach Macht im Job zum Problem?
Dort, wo die Macht ungünstig verteilt ist und sich womöglich auf zu wenige Menschen konzentriert: Hier wird es schwierig mit Flexibilität, Motivation, Erneuerung und Zufriedenheit. Und es kann zu Überforderung der einen und Unterforderung der anderen kommen. Sie wird auch dort zum Problem, wo Menschen Macht und Verantwortung haben, die damit überfordert sind. Auch wo sie missbraucht wird, ohne dass es einen Schutz gibt, ist Macht ein Problem. Alle drei Fälle sind sehr teuer: für die Beteiligten und für das Unternehmen.
Die Sonnenseite der Macht
In welchen Konstellationen ist Macht gegenüber anderen sinnvoll oder sogar geboten?
Grundsätzlich dort, wo sich etwas zum Besseren verändern soll, aber auch dort, wo ich etwas Eigenes in die Welt bringen will, von dem ich glaube, dass es das wert ist. Macht wird dann zur Ermächtigung. Macht ist auch sinnvoll, um Grenzen zu setzen und mich oder andere zu schützen. Eigentlich lauter gute Gründe, oder? :-) Deshalb noch einmal ausdrücklich: Es ist etwas Gutes, machtvoll in die Welt hineinzuwirken!
Vom machtvollen Handeln
Wie erlangen Menschen diese Macht? Welche Schritte können sie ganz konkret gehen?
Ich kann mich mit anderen verbünden sowie an meiner inneren Haltung – meinen Mindsets – ansetzen und darauf achten, dass sie mir Macht erlauben. Außerdem kann ich kann dafür sorgen, dass meine Ängste nicht stärker sind als mein machtvolles Handeln, aber auch meine Sprache machtvoll gestalten und so meine Wirkung erhöhen. Meinem Körper in seiner Haltung und seinen Signalen kann ich zu einer machtvollen Ausstrahlung verhelfen. Meine Zeit kann ich machtvoll gestalten und in der Ruhe große Stärke entwickeln, vorhandene Ordnungen und Machtverhältnisse nutzen oder verändern. Ich kann kreativ neue Wege entwickeln.
Und schließlich kann ich verschiedene Arten von Ohnmacht unterscheiden und verhindern, dass mich die scheinbare Hilflosigkeit anderer machtlos macht. Auf diese Weise kann ich lernen, mit meiner eigenen Hilflosigkeit gut umzugehen.
Und zum Schluss noch eine persönliche Frage: Welches Verhältnis haben Sie zur Macht? Wie haben Sie Ihr Verhältnis zur Macht entwickelt?
Ich komme aus einem bildungsfernen Hintergrund und habe früh gemerkt, dass ich Bildung brauchte, um weiterzukommen. Dazu habe ich mich an den Normen orientiert, die ich in den jeweiligen Bildungswelten wahrgenommen habe. Das hat ganz gut geklappt.
Erst, als ich in meinem eigenen Leben etabliert war, habe ich mir erlaubt zu fragen: Was will ich verändern? Wo hinein will ich wirken? Was ist mir wichtig? Wo habe ich Bewegungsspielräume? Dabei habe ich gelernt: Ich kann und darf mich und mein Umfeld verändern, ich muss nicht alles erst einmal als gegeben hinnehmen, ich darf neue Regeln und Prioritäten schaffen. Und mein Gestalten kann dabei anderen zugutekommen.
Insofern hat mein Verhältnis zur Macht sehr viel mit meinem persönlichen Reifungsprozess zu tun. Es ist für mich ein großes Privileg, dass ich in meinem Beruf und auch privat andere zu machtvollem Handeln ermutigen kann.
Fragen an Sie:
Ich freue mich, dass Sie diesen Artikel gelesen haben! Jetzt möchte ich Ihnen ein paar Fragen stellen:
- Wie erleben Sie Macht im Beruf?
- Welche Einstellung haben Sie zur Macht?
- Sind Sie damit zufrieden?
- Welche Tipps würden Sie Anderen in Sachen Machtausübung geben?
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Meine Literaturempfehlung:
- Sylvia Löhken, Tom Peters: Lebe deine Macht. Kraftvoll wirken in jeder Situation, Kösel, München 2020
Meine Linkempfehlung:
- Sylvia Löhken
- Gegen die Panik: Wie Sie Ihre Angst im Beruf überwinden
- Emotionen im Beruf: Wie Sie mit Gefühlen im Job richtig umgehen
- Glaubenssätze im Beruf: Wie Sie negative Gedanken verändern und überwinden
- Selbstsabotage im Job: Gegen die eigenen Interessen handeln
(Interview veröffentlicht Oktober 2020)
(Copyright 2020 by Anja Schreiber)