Wissenschaftler werden: Der Weg zum Professor ist steinig

Manch eine weiß schon im Kindesalter, dass sie Forscherin werden will. Andere entdecken ihre Leidenschaft für die Wissenschaft erst im Studium. Doch egal, wann der akademische Nachwuchs sich für eine universitäre Laufbahn entscheidet: Vor ihm liegt ein steiniger Weg, der zwar eine interessante und anspruchsvolle Tätigkeit mit sich bringt, aber auch ein beträchtliches Risiko birgt.

Wissenschaftler werden
Wissenschaftliche Karriere: Der steile Weg zum Professor

Für wen dieser Artikel besonders interessant ist:

  • Schulabgänger, Studierende, Berufseinsteiger und Eltern.

Dieser Artikel informiert Sie über:

  • Vorausetzungen für eine wissenschaftliche Karriere
  • Rahmenbedingungen des Wissenschaftssystems
  • verschiedene Karrierebausteine
  • Alternativen zum Professor
  • Tipps
  • Linkempfehlungen

Intrinsische Motvation als Voraussetzung

Dr. Michal Or-Guil wollte bereits als Kind Forscherin werden. „Das war für mich schon damals eine Traumlaufbahn“, berichtet die Leiterin der Forschungsgruppe Systemimmunologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Den eigentlichen Entschluss fasste die Physikerin nach ihrem Studienabschluss: Während eines Auslandsaufenthaltes in den USA und Brasilien lernte sie verschiedene Forschergruppen kennen. Sie nutzte die Zeit, ein Promotionsthema zu suchen. „Was mich von Anfang an fasziniert hat, war die Möglichkeit, eigenen Forschungszielen nachzugehen und selbstständig Entdeckungen zu machen.“

Nach der Fertigstellung ihrer Promotion an der Universität Münster wechselte Or-Guil zum Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden. „Die Forschung an dieser außeruniversitären Einrichtung war viel internationaler und weltoffener als an der Uni. Deshalb wollte ich dort auch bleiben“, betont die Forscherin. Doch dann reizte sie eine Ausschreibung der Volkswagenstiftung für die Gründung einer Forschungsgruppe an der Humboldt-Universität. Sie bewarb sich und kam nach Berlin.

Voraussetzung: Interesse an der Forschung

Die Berufsberaterin für Abiturienten und Hochschüler Bärbel Orphal wird immer mal wieder mit dem Berufswunsch Forschung konfrontiert. Gerade bei Abiturienten herrscht aber viel Unkenntnis über den beruflichen Werdegang in der Wissenschaft: „Wer sich für diesen Beruf interessiert, muss nach dem Masterstudium erst einmal an einer Universität promovieren“, erklärt Orphal von der Arbeitsagentur Berlin Mitte. Sie rät Interessierten, bereits im Bachelorstudium erste Schritte zu tun. „Am Besten absolvieren sie Forschungspraktika oder arbeiten als wissenschaftliche Hilfskraft an Lehrstühlen.“ Das ist auch eine gute Voraussetzung, um später an der Universität eine Promotionsstelle zu erhalten … vorausgesetzt, die Leistungen stimmen.

Die Rahmenbedingungen im Wissenschaftsystem kennen

Wer in der Forschung arbeiten will, sollte sich mit deren Rahmenbedingungen beschäftigen: „Während und nach der Promotionsphase haben Akademiker fast immer befristete Stellen“, betont Orphal. Außerdem sei das Gehalt an den Hochschulen oft deutlich geringer als in der Wirtschaft.

Auch Or-Guil sieht in der Befristung ein Problem: „In der Wissenschaft zu arbeiten ist wirklich sehr attraktiv, weil man selbstständig forschen kann. Allerdings ist es schwierig, längerfristig zu planen, wenn die Stellen nur befristet sind“, betont die Forscherin. Das mache es vielen Nachwuchskräften schwer, in der Forschung zu bleiben. „Bei mir selbst hat sich immer wieder ein guter nächster Schritt ergeben.“ Doch das Risiko sei erheblich. Denn nach einer befristeten Beschäftigung eine Anschlussfinanzierung zu finden, sei keine Selbstverständlichkeit.

Leben zwischen W 3 und Hartz IV

Die Berlinerin Dr. Monika Klinkhammer hat sich auf die Beratung von Wissenschaftlern spezialisiert und kennt deren spezifische Probleme. „Die Zahl der Professorenstellen ist bekanntlich gering.“ Von zwei bis drei Habilitierten – also entsprechend Qualifizierten –  werde nur einer tatsächlich Professor. Das sei ein „Engpass“. Denn vor der Berufung zum universitären Hochschullehrer stehen oft viele Jahre Unsicherheit und prekäre Arbeitsverhältnisse. „Das ist ein Leben zwischen W 3 und Hartz IV mit vielen Ortswechseln“, fasst es Klinkhammer zusammen. „Auch die Familienplanung und das Leben in einer Partnerschaft bleibt dabei oft auf der Strecke.“

Publikationen und Präsentationen auf Kongressen zählen

Um in der Wissenschaft Karriere zu machen, braucht es nicht nur fachliche Brillanz, sondern noch viele andere Kompetenzen. „Ganz wichtig ist es, dass sich Nachwuchskräfte mit ihrer Arbeit präsentieren können, zum Beispiel auf Kongressen und Tagungen“, berichtet Klinkhammer. Zudem sollten Promovierende neben ihrer eigentlichen Doktorarbeit weitere Forschungsergebnisse publizieren. „Gerade die Anzahl und Qualität der Publikationen entscheidet über den weiteren Werdegang, allerdings auch die Fähigkeit zu netzwerken.“

Zu dem wissenschaftlichen Nachwuchs, den Dr. Monika Klinkhammer coacht, gehört auch Julia Dittmann. Die 44-jährige Berlinerin promoviert derzeit an der Universität Bayreuth und hat ein klares Ziel vor Augen: „Ich möchte später an einer Film- oder Kunsthochschule arbeiten.“ Die Mutter zweier Kinder kann auf vielfältige künstlerische und wissenschaftliche Erfahrungen zurückblicken: Sie hat eine Film- und Schauspielschule besucht, ihr Geld als Filmemacherin fürs Fernsehen verdient und dann Filmwissenschaft, Geschichte und Gender Studies studiert. Dittmann: „Da ich mein Studium mit ‘sehr gut’ abgeschlossen habe, entstand die Idee, eine Doktorarbeit zu schreiben.“

Julia Dittmann promoviert im Rahmen der Bayreuth International Graduate School of African Studies über ein Thema im Bereich der feministischen Filmtheorie. So pendelt sie zwischen Berlin und Oberfranken. „Das ist natürlich mit zwei kleinen Kindern ziemlich anstrengend.“ Von ihrer Doktormutter erfährt sie Unterstützung und Förderung. So konnte sie bereits zwei Semester an der Uni lehren.

Disziplin hilft

„Für die Arbeit an der Promotion ist viel innere Disziplin nötig. Doch auch der Austausch innerhalb der Graduiertenschule und mit meiner queer-feministische Promotionsgruppe hilft mir.“ So trifft sie sich in Berlin regelmäßig mit anderen Doktorandinnen und diskutiert offen anstehende Probleme.

Dr. Uta Hoffmann vom Servicezentrum Forschung der Humboldt-Universität empfiehlt allen, die eine wissenschaftliche Karriere anstreben, frühzeitig zu netzwerken: „Es ist sinnvoll herauszufinden, wo im eigenen Fach die Musik spielt und was in der Spitzenforschung vor sich geht“, so Hoffmann. Das sei in erster Linie Aufgabe jedes Einzelnen. Doch inzwischen könnten Promovierende und Promovierte auf ein differenziertes Unterstützungssystem an vielen Hochschulen bauen. So habe die Humboldt-Universität zum Beispiel die Dachorganisation für strukturierte Promotionsprogramme die „Humboldt Graduate School“ eingerichtet. Deren Ziel es ist, Promovierenden gute Rahmenbedingungen zu bieten wie zum Beispiel Kurse zu Schlüsselqualifikationen, Mentoring und Orientierung sowie die Unterstützung in Konfliktfällen.

Beratungsangebote nutzen

Nach der Promotion berät die Universität die sogenannten Postdocs zum Beispiel bei der Beantragung von Geldern.Sie bietet auch ein spezielles Fortbildungsprogramm an“, betont Hoffmann. Trotz der vielfältigen Angebote ist jedoch das Engagement des Nachwuchswissenschaftlers entscheidend … zum Beispiel die Bereitschaft, für einen Forschungsaufenthalt ins Ausland zu gehen. Denn internationale Erfahrung spielt in der Wissenschaft eine wichtige Rolle.

Gerade angesichts der wenigen Professorenstellen hält Orphal es für hilfreich, sich frühzeitig über die vielfältige Wissenschaftslandschaft in Deutschland zu informieren. Denn so könne man auch Alternativen zum Karriereziel Hochschullehrer entwickeln. Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen wie die Max-Planck-Institute kommen dafür genauso infrage wie Stellen im Wissenschaftsmanagement.

Alternativen entwickeln

Die Arbeit im Wissenschaftsmanagement ist dabei keineswegs nur eine Notlösung, wenn es mit dem Traum vom Forscher nicht geklappt hat. Der Beruf des wissenschaftlichen Koordinators kann vielmehr selbst ein interessantes berufliches Ziel sein! Dr. Micha Schröter hat sich zum Beispiel ganz bewusst für diese Arbeit entschieden. Zuerst studierte er Biochemie in Halle an der Saale und promovierte dann am „Deutschen Rheuma-Forschungszentrum“ in Berlin. Nach seiner Promotion arbeitete er noch zwei Jahre als Forscher, bevor er dann ins Wissenschaftsmanagement wechselte.

„Ich wollte immer etwas mit Menschen für Menschen machen. Das kommt in der Forschung zu kurz“, betont Schröter, der heute als Wissenschaftlicher Koordinator beim „Integrativen Forschungsinstitut für Lebenswissenschaften“ in Berlin beschäftigt ist.  Er  arbeitet an der Vernetzung von Wissenschaftlern, organisiert Veranstaltungen und Kongresse. „Außerdem entwickle ich ein Angebot für unsere Graduiertenschule.“ Dass er selbst so lange geforscht hat, sieht Schröter als wichtige Voraussetzung, um mit den Forschern auf Augenhöhe arbeiten zu können.

Meine Tipps auf einen Blick:

  • Intrinsische Motivation und Interesse an der Forschung sind Voraussetzungen für eine Karriere in der Wissenschaft.
  • Angehende Wissenschaftler sollten die Rahmenbedingungen im Wissenschafts- und Hochschulsystem kennen, wie zum Beispiel die Befristung von Stellen.
  • Diese Rahmenbedingungen sollten sich mit den weiteren Lebenszielen des Forschers vereinbaren lassen.
  • Publikationen und Präsentationen auf Kongressen sind wichtige Karrierebausteine.
  • Internationale Erfahrung zählt.
  • Selbstdisziplin und Selbstmanagement sind Voraussetzungen für den beruflichen Erfolg als Forscher.
  • Wissenschaftler sollten die verschiedenen Beratungsangebote nutzen.
  • Sie sollten eine berufliche Alternative zum Professor entwickeln.

Meine Fragen an Sie:

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  • Ist er hilfreich?
  • Was sind Ihre Erfahrungen mit der Promotions- und Postdoc-Zeit?
  • Sind Sie im Wissenschaftssystem geblieben oder ausgestiegen?

Meine Linkempfehlungen:

(Hauptartikel veröffentlicht in der Berliner Zeitung, Juli 2015)
(Copyright 2015 by Anja Schreiber)

Anja Schreiber
Anja Schreiber arbeitet seit vielen Jahren als freie Fachjournalistin zu den Themen Bildung, Studium und Beruf. Sie schreibt unter anderem für die Berliner Zeitung, Stuttgarter Zeitung und Süddeutsche Zeitung, aber auch für Hochschulmagazine, Onlinemedien und eine wissenschaftliche Publikation. Außerdem bloggt sie regelmäßig.

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