Schon wieder einen Termin vergessen oder Aufgaben vor sich hergeschoben … Berufstätige handeln nicht immer zu ihrem eigenen Vorteil, sondern sabotieren sich mitunter selbst. Und das bleibt nicht ohne Folgen für den Job. Psychologen und Coachs kennen das Phänomen des sich selbst schädigenden Verhaltens.
Für wen dieser Artikel besonders interessant ist:
- Auszubildende, Studierende, Berufseinsteiger, Berufserfahrene und Neustarter.
Dieser Artikel informiert Sie über:
- Ursachen der Selbstsabotage
- Folgen
- Lösungsansätze
- Tipps
- Linkempfehlungen
- Literaturempfehlungen
“Selbstsabotage im Beruf kann verschiedene Gestalten annehmen”, erklärt der Buchautor und Coach Prof. Dr. Manuel Tusch aus Köln. “Zum Beispiel in Form von Vorsätzen, die Berufstätige nicht einhalten oder Angst, die sie blockiert. Manche lassen Termine schleifen oder kommunizieren anders als sie eigentlich wollen. Der menschliche Geist ist da sehr erfinderisch.”
Ein typisches Beispiel für Selbstsabotage kennt auch Autorin und Coach Dr. Petra Bock: “Statt den Chef auf eine Lohnerhöhung anzusprechen, denken sich Arbeitnehmer vorher Gründe aus, warum ihr Vorgesetzter das ablehnen wird.” So torpedieren sie von vornherein ihren Wunsch nach mehr Gehalt. “Ich nenne dieses Phänomen ‘Mindfuck’. Darunter verstehe ich Gedanken, mit denen sich Menschen – auch im Job – selbst schaden“, erklärt die Berlinerin. Bock schreibt über die Selbstsabotage im Beruf gerade ein Buch mit dem Titel “Mindfuck. Job”, das im kommenden Herbst erscheinen wird.
Das Problem sind die Gedanken
Es sind oft die eigenen Gedanken, die Berufstätigen im Wege stehen: “Ein sich selbst schädigendes Verhalten resultiert am häufigsten aus dysfunktionalen Glaubenssätzen”, betont Tusch, der in Münster zum Thema Beratung, Mediation und Coaching lehrt und forscht. Und die funktionieren so: Jemand will Karriere machen, denkt aber gleichzeitig unbewusst negativ über sich selbst. In seinem Kopf tauchen immer wieder Sätze auf wie “Ich bin wertlos”, “Ich kann nichts” oder “Mich nimmt keiner ernst”. Das Problem bei diesen Glaubenssätzen ist, dass sie häufig genau das bewirken, was sie beschreiben. “Es handelt sich dabei um eine selbsterfüllende Prophezeiung: Das, was Menschen am stärksten befürchten, tritt ein. Ein sehr tragischer Mechanismus.”
Oft spielt auch die Angst eine große Rolle: “Manchmal ist es für Menschen angenehmer, wenn sie Aufgaben erst gar nicht angehen, als wenn sie Gefahr laufen, potenziell zu scheitern”, berichtet Tusch. Das erklärt auch, warum so viele Berufstätige bestimmte Vorhaben immer wieder aufschieben, wie zum Beispiel, an einer Fortbildung teilzunehmen oder weitere Karriereschritte in Angriff zu nehmen. So können sie den ausbleibenden Erfolg auf ihre Aufschieberitis zurückführen und müssen sich nicht der Tatsache stellen, dass sie scheitern könnten. “Dieses Verhalten dient dazu, den Selbstwert zu schützen.”
Aufschieberitis
Dr. Frank Wieber vom Lehrstuhl für Sozialpsychologie und Motivation an der Universität Konstanz kennt als Wissenschaftler das sogenannte Self-Handicapping. “Studien zeigen zum Beispiel, dass Studierende vor einer Prüfung noch Party machten.” Dieses selbstschädigende Verhalten hatte für sie zwei entscheidende Vorteile: Im Falle einer schlechten Leistung hatten die Studierenden so einen Begründung und mussten sich und anderen nicht eingestehen, dass es eventuell auch an ihren mangelnden intellektuellen Fähigkeiten lag. War die Leistung gut, wirkt das Resultat noch eindrucksvoller und lässt den Betreffenden intelligenter erscheinen.
Petra Bock kennt noch weitere Selbstsabotage-Methoden beschrieben: Wer sich zum Beispiel ständig irgendwelche Horrorszenarien wie den Jobverlust ausdenkt – und das ohne stichhaltige Gründe -, ist vom “Katastrophen-Mindfuck” betroffen. Eine andere Variante ist der “Selbstverleugnungs-Mindfuck”. Dieser sorgt dafür, dass der Mitarbeiter sich eher um das Wohl der Kollegen kümmert als um seine eigene Arbeit. Manche Beschäftigte leiden auch unter dem “Regel-Mindfuck”: Er suggeriert dem Betroffenen, sich unbedingt an willkürliche oder längst überholte Regeln halten zu müssen.
Ursachen erkennen
Was sich im Berufsalltag heute als problematisch erweist, hatte in anderen Lebensabschnitten seinen Sinn. Tusch: “Je nachdem, wie wir erzogen wurden, begleiten uns gewisse Glaubenssätze und Ängste schon seit Jahren oder Jahrzehnten. Manche davon waren durchaus einmal nützlich für uns.” So bewahrt die Angst Menschen davor, unvorsichtig zu sein. Aber ab einem gewissen Zeitpunkt können sich Gedanken, die einmal ihren Sinn hatten, kontraproduktiv auswirken.
Auch der Psychologe Wieber betont, dass die scheinbaren Vorteile des Self-Handicapping langfristig mehr Nachteile mit sich bringen: “Die sogenannten interpersonellen Kosten dieses Verhaltens sind sehr hoch. Denn die Menschen, die sich selbst schädigen, werden als unzuverlässig wahrgenommen.” Das Umfeld unterstellt Aufschiebern, sie seien nicht gut organisiert oder uninteressiert. Die Ausrede, keine Zeit gehabt zu haben, wird zwar von dem Umfeld in der Regel für einen konkreten Fall akzeptiert. Allerdings leidet das allgemeine Ansehen des Aufschiebers. Die Forschung belegt zudem, dass Frauen solch ein Verhalten deutlich negativer beurteilen als Männer, die in diesen Fällen toleranter sind.
Langfristig entstehen Nachteile
Das selbstschädigende Verhalten wirkt sich langfristig auch negativ auf die Motivation und Leistungsfähigkeit eines Menschen aus: “Self-Handicapping führt dazu, dass sich Betroffene hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben und nur wenig weiterentwickeln. Da es in den meisten Fällen wichtiger ist, Erfolg zu haben, als gute Gründe für einen Misserfolg, kann Self-Handicapping das berufliche Weiterkommen sabotieren.”, berichtet Wieber. Außerdem wird dieses Verhalten oft als große psychische Belastung empfunden, die auch die Gesundheit beeinträchtigen kann.
Frank Berndt aus Neuburg an der Donau erlebt in seiner Beratertätigkeit ständig, wie bestimmte Glaubenssätze Berufstätigen schaden. Der Coach hat sich auf die Themen Burnout und Burnoutprävention spezialisiert. “Wer zum Beispiel glaubt, es allen recht machen zu müssen, überschreitet meist seine Belastungsgrenze.” So ein Berufstätiger kann einfach nicht ‘nein’ sagen, weil er die schlimmsten Konsequenzen fürchtet. Aber genau dieses Verhalten führt in der Regel zu Selbstausbeutung. “Die Betroffenen nehmen sich immer weniger Zeit für soziale Kontakte, ausreichend Schlaf oder andere schöne Dinge des Lebens”, betont Berndt. “Am Ende bekommen sie oft Burnout.”
Eine mögliche Folge: Burnout
Nach Berndts Einschätzung helfen Präventions-Maßnahmen wie mehr Work-Life-Balance, Nein-Sagen oder mehr Entspannung gerade deshalb nicht, weil die Ursachen tiefer liegen. “Wenn Berufstätige diese Ratschläge befolgen, haben sie meist ein schlechtes Gewissen und Angst vor den Konsequenzen.” Deshalb empfiehlt Berndt, sich der eigenen Gedanken bewusst zu werden. Um ein mögliches Ausbrennen zu verhindern, sei es wichtig, die inneren Antreiber für selbstschädigende Handlungen zu erkennen und die verborgenen Mechanismen zu identifizieren. Erst dann haben Betroffene die Chance, problematische Glaubenssätze und Ängste zu “entmachten”.
Auch die mit dem Coaching Award 2012 ausgezeichnete Petra Bock rät dazu, problematischen Gedanken auf die Spur zu kommen. “Hilfreich ist zum Beispiel das Führen eines Gefühlstagebuchs. Hier sollten Berufstätige alle Stimmungen und Gedanken aufschreiben, die sie den Tag über begleiten.” Mithilfe dieser Aufzeichnungen lässt sich leicht ein Realitätscheck machen. Der Unterschied zwischen diffusen Ängsten und berechtigten Sorgen wird deutlich. “Die ständige Angst vor der Kündigung entlarvt sich dabei zum Beispiel meist als Hirngespinst”, betont Bock.
Selbstsabotage überwinden
“Da jeder Mensch ein individuelles Muster der Selbstsabotage hat, gibt es leider keine Standardrezepte für deren Überwindung”, betont Bock. Ein Weg hat sich aber ihrer Erfahrung nach bewährt: “Wer sich selbst sabotiert, verhält sich häufig wie ein Kind. Er ist trotzig oder ängstlich. Aus dieser Rolle sollten die Betroffenen aber herausschlüpfen und sich wie ein wirklich Erwachsener verhalten.” Denn wer sich fragt, wie so ein Erwachsener handeln würde, findet am ehesten tragfähige Lösungen für Probleme. Ein Arbeitnehmer redet sich dann zum Beispiel den Wunsch nach einer Gehaltserhöhung nicht mehr aus, sondern bereitet sich bestens auf das Gespräch mit dem Chef vor.
Wieber empfiehlt, sich konkret mit den eigenen Wünschen und Zielen zu beschäftigen. Der Psychologe weiß nur zu gut, dass viele Wünsche eher Tagträume sind, die gar nicht darauf angelegt sind, Wirklichkeit zu werden. Die sogenannte mentale Kontrastierungsmethode kann helfen, Ziele zu finden, die nicht nur erstrebenswert, sondern auch erreichbar sind: “Dabei stellt man sich zunächst die gewünschte Veränderung mit ihren positiven Konsequenzen vor, um diese dann mit den Hindernissen zu kontrastieren, die dem Erreichen dieses Ziel im Weg stehen.” Um die Umsetzung dieser Ziele zu unterstützen, sollte zusätzlich genau geplant werden, wie sich die Hindernisse überwinden lassen. Nachgewiesenermaßen hilft dieses Vorgehen.
Meine Tipps auf einen Blick:
- Überlegen Sie sich, ob das Thema Selbstsabotage in Ihrem eignen Leben eine Rolle spielt.
- Finden Sie heraus, welche Gedanken und Gefühle Ihnen immer wieder im Wege stehen.
- Seien Sie ehrlich zu sich.
- Notieren Sie Ihre Empfindungen und Gedankenspiele auf und reflektieren Sie diese.
- Versuchen Sie herauszufinden, welche Ursache diese Gefühle und Gedanken haben.
- Überlegen Sie, welche mittel- und langfristigen Folgen die Selbstsabotage mit sich bringen kann.
- Fragen Sie sich, ob Ihre eigenen Wünsche, eher Tagträume sind oder Ziele, die Sie wirlich erreichen wollen.
- Kontrastieren Sie die gewünschte Veränderung mit Ihren positiven Konsequenzen mit möglichen Hindernissen.
- Fragen Sie sich ehrlich, ob der Aufwand lohnt.
- Planen Sie die Umsetzung Ihres Ziels möglichst genau.
Meine Fragen an Sie:
Ich freue mich, dass Sie diesen Artikel gelesen haben! Jetzt möchte ich Ihnen ein paar Fragen stellen:
- Kommt Ihnen das Thema Selbstsabotage bekannt vor?
- Schieben Sie bestimmte Aufgaben immer wieder auf?
- Stehen Sie sich manchmal oder öfters selbst im Weg?
- Wenn dem so ist, interessiert mich, was Ihnen hilft?
- Faden Sie meinen Artikel weiterführend?
Bitte schreiben Sie es in die Kommentare! Vielen Dank!
Meine Linkempfehlungen:
Mein Artikel zum Thema “Denkfallen im Job” zeigt, wie Menschen sich mit ihren eigenen Gedanken im Wege stehen: https://blog.anjaschreiber.de/fiese-denkfallen-im-job
Frank Berndt informiert auf seiner Website über Burnout und Burnoutprävention sowie über sein Beratungsangebot: www.burnout-fachberatung.de
Mehr über das Coachingangebot und die Bücher von Petra Bock findet sich unter: www.petrabock.de
Über den Buchautor, Coach und Wirtschaftsmediator Prof. Dr. Manuel Tusch informiert seine Homepage: www.tusch-consulting.com
Meine Literaturempfehlungen:
Petra Bock : Mindfuck. Warum wir uns selbst sabotieren und was wir dagegen tun können, 256 Seiten, Knaur (München) 2011, 19,90 Euro.
Volker Kitz, Manuel Tusch: Warum uns das Denken nicht in den Kopf will. Noch mehr nützliche Erkenntnisse der Alltagspsychologie, 288 Seiten, Heyne (München) 2014, 8,99 Euro.
(Hauptartikel veröffentlicht in der Berliner Zeitung, April 2015)
(Copyright 2015 by Anja Schreiber)