Konzentrationsprobleme, Motivationsverlust, Reizbarkeit und sozialer Rückzug: So können sich Depressionen im Berufsalltag äußern. Denn die Krankheit beeinträchtigt nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die soziale, körperliche und geistige Leistungsfähigkeit. Eine weitverbreitete Meinung ist, dass äußere Umstände wie Stress am Arbeitsplatz oder Konflikte mit anderen Menschen die Ursache für diese Krankheit ist. Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, meint allerdings, dass diese Ursachen überschätzt werden. Er gibt Tipps, wie Betroffene, Vorgesetzte und Kollegen mit dem Thema Depression umgehen sollten.
Für wen dieser Artikel besonders interessant ist:
- Auszubildende, Berufseinsteiger, Berufserfahrene und Sehnsüchtige
In diesem Interview erfahren Sie:
- Wie sich eine Depression auf den Arbeitsalltag auswirkt.
- Wie Sie als Vorgesetzter oder Kollege mit dem Thema umgehen sollten.
- Wie Sie als Betroffener über Ihre Krankheit kommunizieren sollten.
- Kontaktmöglichkeiten.
- Linkempfehlungen.
Depression im Berufsalltag: Arbeit kann stabilisieren
Wie sehr beeinflusst die Berufstätigkeit die psychische Stabilität von Menschen und wie stark sind die Auswirkungen auf eine Depression?
Hegerl: Für die meisten Menschen ist Arbeit nicht Ursache psychischer Erkrankungen, sondern wirkt eher stabilisierend. Arbeit ist nach meiner klinischen Erfahrung fast nie der wesentliche Grund dafür, dass jemand depressiv wird. Schleicht sich die Depression ein, wird allerdings jede Arbeit zunehmend als Überlastung erlebt, auch wenn sie objektiv vielleicht sogar wenig belastend ist. Das ganze Leben wird zur Last. Viele Menschen verlieren durch Depression ihre Arbeit. Dies ist der Hauptgrund dafür, dass Arbeitslose verglichen mit Arbeitstätigen deutlich häufiger an psychischen Erkrankungen, insbesondere an Depressionen, leiden, und weniger, dass die Arbeitslosigkeit zu Depressionen führt.
Jede kleine Aufgabe wird zur Qual
Was belastet Menschen mit Depressionen im Beruf?
Hegerl: Eines der Hauptsymptome der Depression ist das tiefe Erschöpfungsgefühl. Man kann sich zu nichts aufraffen, alles erfolgt gegen einen bleiernen Widerstand. Das mindert natürlich in einer depressiven Episode die Leistungsfähigkeit im Beruf. Hinzu kommen krankheitsbedingte Konzentrationsstörungen und ein geringes Selbstwertgefühl. Jede kleine Aufgabe wird zur Qual und Menschen mit schweren Depressionen können in einen Zustand kommen, in dem sie nicht einmal sich selbst mehr richtig versorgen können, geschweige denn ihre Arbeit erledigen. Depressionen sind schwere Erkrankungen, die rasch behandelt werden müssen. Nach überstandener Krankheitsphase sind die meisten Menschen wieder so leistungsfähig wie früher.
Hat es einen Einfluss auf die Krankheit, ob Betroffene ihren Beruf als sinnvoll erachten und dort ihre Werte leben können?
Hegerl: Häufig werden äußere Umstände wie Stress am Arbeitsplatz oder Konflikte mit anderen Menschen als Ursache der Depression überschätzt. Entscheidend für das Auftreten einer Depression ist die Veranlagung. Diese kann genetisch bedingt sein oder auch erworben, z.B. durch Missbrauchserfahrungen in der frühen Kindheit. Auch Menschen mit einem erfüllenden Beruf können depressiv erkranken. Und ohne Veranlagung führen auch schwierige Arbeitsbedingungen nicht zu einer depressiven Erkrankung, auch wenn sie die Lebensqualität massiv beeinträchtigen können.
Basiswissen über Depression ist wichtig
Wie lassen sich Belastungen für Erkrankte in Job minimieren? Was können die Betroffenen selbst tun, was sollten Vorgesetzte und Kollegen unternehmen?
Hegerl: Die Arbeitgeber können viel tun. Es sollte, weil die Depression eine so häufige und schwere Erkrankung ist, in jedem Unternehmen ein Basiswissen dazu geben. Durch Schulung von Personalverantwortlichen, Führungskräften und Mitarbeitern kann erreicht werden, dass erkrankte Mitarbeiter rascher den Weg in eine professionelle Behandlung finden und Rückfälle oder Missverständnisse vermieden werden.
Zu einer solchen Schulung gehört es auch zu lernen, wie man ein Gespräch mit einem Mitarbeiter führt, der zum Beispiel nicht mehr mit seinen Kollegen in die Kantine geht, weinend vor seinem PC sitzt und seine Leistung nicht mehr bringt. Wie spreche ich meine Sorgen und Beobachtungen an? Was rät man so jemandem? Braucht er vielleicht professionelle Hilfe und wer ist überhaupt für eine professionelle Behandlung zuständig?
Derartige Maßnahmen können dazu beitragen, dass rascher der Weg in eine professionelle Behandlung gefunden wird und so zudem auch Kosten durch Präsentismus [Dieser Begriff beschreibt das Verhalten von Arbeitnehmern, trotz Krankheit zu arbeiten und ist damit das Gegenteil von Krankfeiern. Anmerkung der Redaktion.] vermieden werden können. Ob durch betriebliche Maßnahmen auch das Auftreten einer Depression von vornherein verhindert werden kann, würde ich in Zweifel ziehen, auch wenn dies bisweilen behauptet wird. Allerdings kann durch Gestaltung der Arbeit, zum Beispiel durch Vermeidung des Schichtdienstes, das Rückfallrisiko bei Depressionen reduziert werden.
Trotz Depression arbeiten
Kann die tägliche Arbeit auch einen positiven Einfluss auf eine Depression haben? Wie könnte dieser aussehen?
Hegerl: Arbeit gibt Tagesstruktur, auch soziale Kontakte, und das kann dem krankheitsbedingten Rückzug und der Selbstisolation depressiv Erkrankter entgegenwirken. Es gibt inzwischen einzelne Unternehmen, die so flexibel sind, dass sie depressiv erkrankten Mitarbeitern auf Wunsch ermöglichen, bei deutlich reduziertem Arbeitspensum im Arbeitsrhythmus zu bleiben. Für dieses Angebot sind manche Betroffene dankbar, da dies deutlich besser ist, als alleine zu Hause grübelnd im Bett zu liegen. Voraussetzung ist hier ein gutes Vertrauensverhältnis mit den Kollegen und Vorgesetzten, und eine Arbeit, die dies zulässt. Manche Patienten nehmen das dankbar an.
Während der Depression keine weitreichende Berufsentscheidungen treffen
Was würden Sie betroffenen Berufstätigen raten, die mit ihrer aktuellen Jobsituation unzufrieden oder sogar regelrecht unglücklich sind? Wann und wie sollten sie sich mit dem Problem auseinandersetzen und nach Lösungen suchen? Kann man überhaupt in einer akuten depressiven Phase (Berufs-)Probleme lösen? Wann ist der richtige Zeitpunkt, solche Probleme zu lösen?
Hegerl: Während der Depression sollten keine weitreichenden Entscheidungen getroffen werden. An Depression erkrankte Menschen sehen die Realität wie durch eine schwarze Brille. Sie nehmen Negatives riesenhaft vergrößert wahr, so auch Unzufriedenheit oder andere Probleme im Job. An erster Stelle soll zunächst die Behandlung der Depression stehen. Erst wenn diese zum Abklingen gebracht wurde, sollten andere Dinge wie eine berufliche Neuorientierung in Erwägung gezogen werden.
Info: Wie Sie mit einer Depression im Beruf umgehen sollten
Viele Berufstätige fragen sich, ob und was sie ihren Kollegen und Vorgesetzten über ihre Erkrankung erzählen sollten und was nicht. Eine einfache allgemeingültige Antwort gibt es darauf nicht. Wer allerdings im Job seine Krankheit verschweigt, setzt sich damit zusätzlich unter Druck. Ein Gespräch mit vertrauenswürdigen Kollegen kann dagegen entlastend wirken.
Hegerl betont: “Natürlich sollten sich Betroffene gut überlegen, wen sie im Job über ihre Krankheit informieren.” Er empfiehlt, zumindest die Menschen, die einem am nächsten stehen, einzuweihen. Dann müsse man nicht immer eine Fassade aufrecht erhalten “Mit einem guten Kollegen zu sprechen kann zum Beispiel helfen, um aus der Isolation herauszukommen. Nicht selten stößt man auf Verständnis.” Allerdings kann auch das Gegenteil passieren. “Manche Menschen sind so verunsichert, dass sie sich zurückziehen.”
Die Offenheit gegenüber Chefs kann Vor- und Nachteile haben: “Vorgesetzte können Erkrankte zum Beispiel entlasten. Aber wer Karriere machen will, hat ein Problem: Er gilt – wie bei anderen schwerwiegenden Krankheiten auch – als weniger belastbar”, so Hegerl. Er wirbt dafür, dass Führungskräfte sich zu dem Thema schulen lassen. “Personalverantwortliche sollten etwa in Rollenspielen lernen, Gespräche mit Betroffenen zu führen.”
Fragen an Sie:
Ich freue mich, dass Sie diesen Artikel gelesen haben! Jetzt möchte ich Ihnen ein paar Fragen stellen:
- Welche Erfahrungen haben Sie mit einer Depression im Beruf gemacht?
- Was hat Ihnen geholfen und was nicht?
- Welche Erfahrungen haben Sie als Kollege oder Vorgesetzter mit der Depression eines anderen im Berufsalltag gemacht?
- Welche Tipps würden Sie anderen geben?
- Gefällt Ihnen der Artikel? Ist er hilfreich? Dann würde ich mich über einen Like auf meiner Facebookseite freuen!
Bitte schreiben Sie auch einen Kommentar! Vielen Dank!
Kontaktmöglichkeiten:
- deutschlandweites Info-Telefon Depression 0800 33 44 5 33 (kostenfrei)
- Hilfe und Beratung bei den sozialpsychiatrischen Diensten der Gesundheitsämter
Meine Linkempfehlungen:
- Wissen, Selbsttest und Adressen rund um das Thema Depression unter: www.deutsche-depressionshilfe.de
- fachlich moderierte Online-Foren zum Erfahrungsaustausch für Erwachsene: www.diskussionsforum-depression.de
- und junge Menschen ab 14 Jahren: www.fideo.de
Meine Artikel:
- “Krank im Beruf: Sich nur nichts anmerken lassen”
- “Gegen die Panik: Wie Sie Ihre Angst im Beruf überwinden”
- “Worst Case im Beruf: Erste Hilfe bei großen Problemen im Job”
- “Problemfall Chef: Wie Sie Konflikte mit Ihrem Vorgesetzten lösen”
(Juni 2019)
(Copyright 2019 by Anja Schreiber)
Ich finde den Artikel von Herrn Hegerl eher unpassend. Das Wort, Schwerwiegende Krankheit ist so stigmatisiert bei Depressionen. Fand ed eben gerade erleichternd bei Dami Charf zu lesen “Man ist nicht krank oder gestört weil man Trauma Symptome hat”. Und so sehe ich das auch! Depression ist in dem Sinne keine alleinstehende Krankheit, sondern ein Symptom von Trauma!
Also, danke für den tollen und einfühlsamen Artikel von Dami!
Der Artikel von Herrn Hegerl ist mir leider viel zu einseitig und auf Krankheit im Sinne von, “mit mir stimmt etwas nicht” fokusiert.
Vielen Dank Für Ihren ehrlichen Kommentar und Ihre Offenheit! Ihnen alles Gute Anja Schreiber
Schöner Artikel. Allerdings mal wieder so einer, der darauf verweist, Depressionen seien heilbar. Ich bin selbst betroffen und kenne, durch Klinikaufenthalte und Dialog viele andere betroffene. Nicht einer wurde wieder ganz gesund. Manche haben es geschafft, ihr Leben so mehr oder weniger in den Griff zu bekommen, andere sind immer tiefer gesunken. Gesund ist niemand geworden.
Genau deshalb ist auch der Hinweis, man möge während einer Depression keine beruflichen Entscheidungen treffen, ziemlich unsinnig, wenn auch gut gemeint. Das bedeutet nämlich für viele betroffene, dass sie niemals eine Entscheidung treffen dürfen, ihr ganzes Leben lang.
Herzlichen Dank für Ihren Kommentar! Ich kann Sie gut verstehen. Natürlich kommen chronisch Erkrankte nicht drumherum, Entscheidungen zu treffen. Das ist auch wichtig. Vielleicht sollte man Entscheidungen aber nicht in einem totalen Tief fällen. Herzliche Grüße Anja Schreiber
Hallo,
ich danke Ihnen sehr für diesen hilfreichen Artikel. Ich suchte im Internet nach genau diesen Informationen und wurde hier fündig.
Ich selbst war letztes Jahr stationär aufgrund einer schweren depressiven Episode, die seitdem rezidiverend auftritt und somit zusätzliche Fehltage entstehen. Meine Chefin ist von Anfang an über meine Diagnose im Bild und versucht mich zu unterstützen und gleichermaßen keinen Druck zu machen. Dennoch ist auch meine Vorgesetzte in einer Sandwich-Position, da wiederum ihr Chef ja auch verlangt, dass sie ihren Job macht und ihr Team im „Griff hat“. Das ist für mich absolut nachvollziehbar und ich versuche auch an sehr schlechten Tagen zu arbeiten oder versuche meine kranken Kinder neben der Arbeit zu betreuen, da ich mich nicht immer krank melden möchte. Sich krankzumelden ist sehr unangenehm und ist für mich sehr schambehaftet: Schon wieder denkt meine Chefin ich sei schwach oder Arbeit bleibt liegen. Oft stelle ich fest, dass sehr viele Menschen und eben auch viele Manager nicht richtig informiert sind was psychische Erkrankungenen betrifft: so entsteht oft ein falsches Bild des Mitarbeiters, welches weder dem Chef noch dem Mitarbeiter hilft.
Ich habe mittlerweile einen Grad der Behinderung 40 & bin gleichgestellt. Zum Glück gibt es bei uns im Unternehmen einen Betriebsrat sowie eine Schwerbehindertenvertretung, die mich unterstützen. Dennoch habe ich panische Angst vor einem Jobverlust und eventuellen weiteren, schweren depressiven Episoden (und somit Arbeitsausfall).
Schlussendlich muss ich sagen, dass ich trotz Studium und meiner aktuellen Tätigkeit in internationalen Projekten mit Verantwortung das Gefühl habe, auf ganzer Linie versagt zu haben. Ich bin weniger belastbar (auch dafür schäme ich mich), bin vergesslich geworden und werde aufgrund meiner Diagnose ziemlich sicher niemals eine leitende Position wahrnehmen dürfen.
Herzlichen Dank für Ihre offenen Worte! Sie brauchen sich nicht zu schämen, aber das wissen Sie sicher selbst! Natürlich kann ich Sie auch verstehen! Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Mut, so gut wie möglich, für sich selbst zu sorgen! Ihnen alles Gute! Anja Schreiber