Beruf und Krankheit: Mit MS im Job durchstarten und seinen Berufstraum verwirklichen

Chronisch krank und den Traumberuf verwirklichen: Viele sind immer noch skeptisch, ob so etwas geht. Doch prominente Beispiele zeigen, dass auch chronisch kranke Menschen beruflich erfolgreich sein können, wie die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz Malu Dreyer. Die Dresdnerin Nele Handwerker macht ebenfalls ihr Ding … gerade wegen ihrer Diagnose Multiple Sklerose. In diesem Interview berichtet sie von ihrem beruflichen Werdegang und ihrem Traumberuf Schriftstellerin. Dabei ermutigt sie andere chronisch Kranke, ihre Träume zu leben … auch im Job!

Für wen dieser Artikel besonders interessant ist:

  • Berufseinsteiger, Berufserfahrene, Neustarter und Sehnsüchtige

In diesem Artikel erfahren Sie:

  • Wie Nele Handwerker mit ihrer Diagnose Mutiple Sklerose in ihrem Beruf umgeht.
  • Was die Autorin inspiriert hat, ihr Ding zu machen.
  • Welche Tipps sie anderen chronisch Kranken gibt.
  • Linkempfehlungen.
  • Literaturempfehlung.

Trotz MS nach Chicago

Stelle Dich doch bitte den Lesern meines Blogs vor.

Ich heiße Nele Handwerker, bin im schönen Dresden aufgewachsen und habe dort meine ersten 20 Jahre verbracht. Danach ging es zum Studium nach Mittweida mit halbjährigen Ausflügen nach München und Bamberg. Es folgten anderthalb Jahre Chicago, wo ich gearbeitet und meine Perspektive enorm erweitert habe. Nach meiner Rückkehr hielt es mich nur kurz in Dresden, bevor ich nach Berlin ging. Hier lebe ich mittlerweile mit meinem Freund, unserer gemeinsamen Tochter und zwei Rennmäusen in Charlottenburg.

Ende 2017 habe ich mein erstes von bisher fünf Kinderbüchern veröffentlicht. Dabei stehen jeweils tierische Protagonisten im Vordergrund, die kleine und große Abenteuer erleben. Anfang April erschien mein erstes Sachbuch für Erwachsene, das meine bisherigen 15 Jahre mit der Diagnose Multiple Sklerose beschreibt. In meinem Hauptberuf bin ich im Marketing für Spezialchemie tätig. Dafür schreibe und kommuniziere ich in Englisch und der Fokus liegt auf Asien.

“Beruf und chronische Krankheit” ist ein heikles Thema. Wie bist Du damit umgegangen, als Du die Diagnose MS bekommen hast?

Die Diagnose erhielt ich während des Studiums. Ich habe mich kurz gefragt, ob ich alles hinwerfen soll, ob sich der Abschluss überhaupt lohnt. Zum Glück erholte ich mich von diesem ersten Schock und den damit verbundenen Ängsten recht schnell. Ich beschloss, mein Leben intensiv und stark fokussiert auf den Moment zu leben, mir Wünsche möglichst schnell zu erfüllen. Nach Abschluss aller Prüfungen ging ich für ein Praktikum nach Chicago und hing gleich noch ein Jahr arbeiten hintendran. Bei meiner Rückkehr verhandelte ich die Konditionen für meinen Job selbstbewusst und wechselte noch in der Probezeit von einem Job in Wien zu einem anderen nach Berlin. Das war ein Bauchgefühl und erwies sich im Nachgang als die richtige Entscheidung.

Bis heute habe ich die Diagnose auf Arbeit geheimgehalten. Seit meiner Buchveröffentlichung und dem dazugehörigen Podcast gehe ich allerdings davon aus, dass es mein Arbeitgeber bereits erfahren hat oder bald wird. Aktiv ins Handeln

“Aktiv ins Handeln gegangen”

Hattest Du damals Angst, bald nicht mehr berufstätig sein zu können? Wie genau wirkte sich diese Angst aus?

Kurz nach der Diagnose hatte ich tatsächlich Angst davor, dass ich bald im Rollstuhl sitzen und weder mein privates noch berufliches Glück finden werde. Das hielt aber nur wenige Wochen an. In der Zeit habe ich oft abends ein Glas Wein getrunken und mich selbst bemitleidet. Das gefiel mir aber nach kurzer Zeit nicht mehr und ich bin lieber aktiv ins Handeln gegangen und habe den Alkoholkonsum fast eingestellt. Ich habe mich in meinem Job sehr stark engagiert und viel Kraft und Energie hineingesteckt und später sogar nebenbei das Schreiben begonnen. Bisher hatte dieser Aufwand keinerlei negative Auswirkungen.

Traumberuf Autorin

Hat Deine Diagnose Deine beruflichen Ziele und Träume beeinflusst und wie sah dieser Einfluss aus?

In den ersten Jahren nach der Diagnose hätte ich mich nicht in die Selbstständigkeit getraut. Ich habe aber viel dafür getan, in meinem Hauptberuf immer mehr verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen zu können.

Mittlerweile strebe ich aktiv die Schreibkarriere in Vollzeit an. Dabei bevorzuge ich einen langsamen Übergang, da es im Kinderbuchbereich durchaus anspruchsvoll ist, vom Selfpublishing zu leben. Deshalb sollen nun zunehmend Bücher für Erwachsene hinzukommen, da das Ziel der Vollzeitautorin eher mit E-Books für Erwachsene erreichbar ist.

Diagnose geheimgehalten

Wie hat sich Dein Umgang mit der Krankheit im Lauf der Jahre verändert?

Ich habe kurz nach der Diagnose viel mit meiner Familie und mit Freunden über die Erkrankung gesprochen. Dabei kamen zum Teil Warnungen zurück, was ich besser alles sein lassen soll. Also hielt ich mich bedeckter und ließ nur noch wenige Menschen am aktuellen Geschehen teilhaben. Vor den meisten hielt ich die Diagnose geheim und auch den zweiten Schub mit beginnender Basistherapie mit täglichem Spritzen. Nur diejenigen, die mich ermutigten, weiter meine Träume zu verfolgen, blieben eingeweiht.

Mittlerweile bin ich so gefestigt, dass mir die Ängste anderer Personen egal sind. Die zurückliegenden Jahre haben gezeigt, dass ich offenbar einen guten Weg gewählt habe. Ich werde weiter über meine Richtung bestimmen und meine Träume verwirklichen. Dazu zählt, dass ich insgesamt 100 Bücher veröffentlichen möchte.

Kinderbücher und ein Sachbuch

Wie kam es dazu, dass Du Autorin geworden ist?

Ich hatte immer eine sehr lebhafte Fantasie, ich sehe Tiere in Wolken und Gesichter in Baumrinden. Nach einer Rundreise durch Island, das eine Vielzahl fantastischer und inspirierender Landschaften bietet, hatte ich eine ganz konkrete Kinderbuchfigur im Kopf. Ich belegte einen Schreibkurs an der Volkshochschule zum Thema Kinderbücher und merkte, dass Geschichten schreiben genau das ist, was ich will. Zur Islandfigur gibt es bereits sechs Geschichten, aber noch ist keine veröffentlicht. Dafür gibt es eine Jahreszeitenreihe und ein Bilderbuch über Rennmäuse.

Ich habe weitere Kurse zum Thema Sachbuch und Krimi schreiben besucht und mir viele Schreibratgeber gegönnt. Das erste Sachbuch gilt der MS und die Krimireihe ist schon in Planung.

“Ich liebe diese Freiheit und Selbstbestimmtheit”

Wie wichtig es Dir, nicht nur Deinem Brotjob nachzugehen, sondern noch mehr zu machen?

Mein Brotjob bringt mich mit vielen interessanten Leuten zusammen und gibt mir Sicherheit. Ich bin aber an bestimmte Rahmenbedingungen und Vorgaben anderer gebunden.

Beim Schreiben trage ich das finanzielle Risiko allein, ich kann aber auch alles so machen, wie ich es will, rumprobieren, meinen Zeitplan selber entwickeln und mir die Dienstleister aussuchen von denen ich Unterstützung einkaufe. Das ist unglaublich befreiend und inspirierend, wenn auch manchmal recht intensiv. Ich liebe diese Freiheit und Selbstbestimmtheit.Berufung gefunden

Berufung gefunden

Du hast jetzt ein Buch über die MS geschrieben. Warum?

Ich bin mittlerweile völlig im Reinen mit mir und der Erkrankung, spätestens seit ich glücklich liiert bin und meine wunderbare Tochter auf der Welt ist. Da meine Basistherapie bisher gut funktioniert hat, hoffe ich weiterhin auf einen sehr sanften Verlauf ohne bleibende Einschränkungen.

Mit dem Schreiben habe ich meine Berufung gefunden und war nun bereit, mit der Diagnose an die Öffentlichkeit zu gehen. Keine Geheimhaltung mehr, das wollte ich meiner Tochter nicht aufbürden. Und ich will Patienten gerade in der Anfangszeit nach der Diagnose Mut machen und ihnen die große Angst vor der Zukunft nehmen.

“Wähle einen Beruf, der dir Spaß macht”

Was ist die Kernbotschaft Deines Buches?

Hab keine Angst vor der Krankheit. Du kannst ein sehr erfülltes und glückliches Leben führen und deine Ziele erreichen.

Gibt es auch eine Kernbotschaft in Sachen Beruf? Wie lautet diese?

Wähle einen Beruf, der dir Spaß macht, halte dich von negativem Stress möglichst fern und versuche nicht, die Erwartungshaltung anderer zu erfüllen, sondern gehe deinen eigenen Weg.

Diagnose hat motiviert

Wie beurteilst Du heute Deinen beruflichen Werdegang im Kontext Deiner Erkrankung?

Ich bin mir sicher, dass ich ohne die Diagnose nicht so forsch vorgegangen wäre. Wer weiß, ob ich nach Chicago gegangen wäre und damit den Folgejob in Berlin bekommen hätte, der mich mehrfach nach Asien gebracht hat.

Vielleicht hätte ich mich auch nicht ins Selfpublishing gewagt, um die Autorenkarriere Stück für Stück aufzubauen. Mich hat die Diagnose motiviert, das Maximum aus meinem Leben herauszuholen. Ich bin mir der Bedeutung des Jetzt und Hier, des Glücklich- und Zufriedenseins bewusster, gestehe mir die Selbstverwirklichung zu und habe Mut, mich Herausforderungen zu stellen.

Vor- und Nachteil der Geheimhaltung einer Krankheit

Welche Tipps würdest Du frisch Erkrankten in Sachen Beruf geben?

Überlege dir genau, ob du mit deiner Diagnose an die Öffentlichkeit gehen willst. Eventuell bleiben dir so Türen versperrt. Es ist immer leichter, aus einer Position der Stärke heraus offen zu sein. Je mehr Erfolge du vorweisen kannst, trotz der Diagnose, desto mehr sprechen die Fakten für dich und du musst nicht argumentieren und erklären, warum du genauso gut Karriere machen kannst, wie jemand ohne die Diagnose Multiple Sklerose. Der Nachteil der Geheimhaltung liegt natürlich in kleinen Notlügen oder mangelnder Rücksicht seitens des Gegenübers, weil sie oder er nicht wissen, dass du eine Erkrankung mit der eventuell unsichtbare Begleiterscheinungen einhergehen. Im Zweifel pro Geheimhaltung. Denn öffentlich machen kannst du die Diagnose zu jedem Zeitpunkt, wenn du merkst, dass es passt. Zurücknehmen kannst du sie hingegen kaum, denn gerade in Zeiten von Social Media währt das Gedächtnis des Internets ewig und ist leicht anzuzapfen.

Fragen an Sie:

Ich freue mich, dass Sie diesen Artikel gelesen haben! Jetzt möchte ich Ihnen ein paar Fragen stellen:

  • Welche Erfahrungen haben Sie mit einer chronischen Krankheit im Beruf gemacht?
  • Haben Sie Ihre Diagnose geheimgehalten?
  • Sind Sie Ihren beruflichen Träumen weiter nachgegangen oder nicht?
  • Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
  • Welche Tipps würden Sie anderen geben?
  • Gefällt Ihnen der Artikel? Ist er hilfreich? Dann würde ich mich über einen Like auf meiner Facebookseite freuen!

Bitte schreiben Sie auch einen Kommentar! Vielen Dank!

Meine Linkempfehlungen:

Meine Artkel:

Meine Literaturempfehlung:

Nele Handwerker: Multiple Sklerose? Keine Angst! Ein 15-jähriger Erfahrungsbericht, Berlin 2020, E-Book: 6,99 Euro, Taschenbuch: 12,99 Euro

(Copyright 2020 by Anja Schreiber)

Anja Schreiber
Anja Schreiber arbeitet seit vielen Jahren als freie Fachjournalistin zu den Themen Bildung, Studium und Beruf. Sie schreibt unter anderem für die Berliner Zeitung, Stuttgarter Zeitung und Süddeutsche Zeitung, aber auch für Hochschulmagazine, Onlinemedien und eine wissenschaftliche Publikation. Außerdem bloggt sie regelmäßig.

2 Kommentare

  1. Hatte vor dem Beginn der MS so eine höchstfase in meinem Leben. Das werde ich leider nicht mehr erreichen. Nur es läuft trotz allem echt ganz gut in meinem Leben. Lese auch ganz gerne . Vielleicht können Sie mir ein paar Motivationsbücher vorschlagen. Danke im voraus.
    M.f.g
    Manfred Enengl

    1. Herzlichen Dank für Ihren Kommentar! Ich selbst habe kein Lieblings-Motivationsbuch. Aber ein Buch, was ich uneingeschränkt empfehlen kann, ist von Marc Aurel „Selbstbetrachtungen“. Für mich ist es ein großer Klassiker der „Lebenshilfeliteratur“. Herzliche Grüße Anja Schreiber

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