Als Erster in den Feierabend gehen … das ist eins von vielen Tabus im Berufsleben. Die stillschweigend praktizierten Normen des Joballtages sind nicht überall gleich. Denn die Unternehmenskultur entscheidet, welche ungeschriebenen „Gesetze“ gelten. Aber nicht für jeden im Betrieb sind die Regeln gleich.
Für wen dieser Artikel besonders interessant ist:
- Berufseinsteiger, Berufserfahrene und Neustarter.
In diesem Artikel erfahren Sie:
- Welche Tabuthemen es im Berufsalltag gibt.
- Welche Tabus Sinn machen und welche nicht.
- Welche Auswirkungen ein Tabubruch hat.
- Linkempfehlungen.
- Literaturempfehlung.
Tabuthemen: Was Sie im Job nicht sagen dürfen
Der Business-Coach und Berater Thomas Saller hat sich diesem Thema näher gewidmet. Sein Buch „Tabu – versteckte Regeln und ungeschriebene Gesetze in Organisationen“ ist gerade frisch erschienen. „Was in einem Konzern oder in einem Familienunternehmen oft noch total tabu ist, kann in einem Unternehmen der New Economy ganz okay sein.“ So gehöre in vielen Unternehmen zu den ungeschriebenen Regeln, dass niemand den Chef kritisieren darf. „Negatives Feedback nach oben ist höchst problematisch. Es gibt aber inzwischen Unternehmenskulturen, wo das durchaus möglich ist.“
Zu den verbreitetsten Tabus zählt der Münchner Coach Saller das „Nichts-Tun-Tabu“: „Viele Manager, aber auch Mitarbeiter müssen immer busy sein oder zumindest anderen und sich selbst diesen Eindruck vermitteln.“ Wer zum Beispiel einen ganzen Tag lang einen leeren Terminkalender habe, breche diese Norm. „Dabei zeigen Forschungsergebnisse, dass gerade Phasen absoluter Unproduktivität und sogar Langeweile hilfreich sein können, neue Ideen zu entwickeln.“
Das „Nichts-Tun-Tabu“
Saller unterscheidet zwischen Tabus, bei denen es sich lohnt, über Regelbrüche nachzudenken und anderen, deren Einhaltung Sinn macht. Gerade beim Thema „Nichtstun“ sei es sinnvoll, das normierte Verhalten zu überdenken. Änderungspotenzial hat zum Beispiel auch das Tabu, dass der Vorgesetzte gegenüber seinem Team keine eigenen Sorgen, Schwächen und Ängste eingestehen darf. Saller: „Natürlich möchte kaum ein Teammitglied einen ‚Jammerlappen‘ als Chef haben. Aber Schwäche erzeugt auch Nähe. Und die kann Führungskräften dabei helfen, ein besseres Verhältnis zu ihren Mitarbeitern aufzubauen.“
Doch Saller kennt auch andere Beispiele: „Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass sich niemand auf halboffiziellen Firmenveranstaltungen komplett gehen lassen darf. Denn es bleibt in Erinnerung, wenn sich der junge Geschäftsführer auf der Wies’n ‚abgeschossen‘ hat – egal wie professionell er am nächsten Tag wieder auftritt.“
Tabus sind nicht überall gleich
Karrierecoach und Buchautorin Svenja Hofert aus Hamburg weiß, dass Tabus nicht überall gleich sind. „Es gibt zum Beispiel Unternehmen, bei denen regelrecht erwartet wird, dass man bei Trinkgelagen mitmacht. Wer nicht mitspielt, muss negative Konsequenzen in Kauf nehmen.“ Was in anderen Firmen ein Tabubruch sei, werde hier sogar erwartet. „Diese kulturellen Prägungen in Betrieben sind nicht auf dem ersten Blick erkennbar.“
Tabus sind auch von Status abhängig: „Was die Chefsekretärin darf, kann sich eine Teamsekretärin noch lange nicht herausnehmen“, berichtet die Kommunikationstrainerin und Benimmberaterin Elisabeth Bonneau aus Freiburg. Auch Pünktlichkeit gehöre zu den Normen, die stillschweigend vorausgesetzt werden. „Aber es gibt Chefs, die viele Konferenzteilnehmer warten lassen. Denn sie wissen, dass die Veranstaltung ohne sie nie beginnen würde.“
Tabus variieren je nach Berufsgruppe und Geschlecht
Manche Berufsgruppen haben mehr Freiheiten als andere. „Früher musste sich der Hofnarr um kein Tabu kümmern. Heute haben Mentoren und Coaches dieses Privileg“, erklärt der Münchner Psychologe und Coach Dr. Stephan Lermer. Menschen in kreativen Berufen wie Künstler oder Fotografen dürfen sich mehr erlauben, genauso der Hausmeister. „Auch der kann schrullig sein.“
Bei den Geschlechtern sieht Lermer ebenfalls deutliche Unterschiede: „Wenn ein Mann anzügliche Witze im Job macht, ist das meist wenig problematisch. Frauen, die das Gleiche tun, tituliert man dagegen häufig als ‚ordinäre Schlampen‘.“
Es gibt außerdem persönliche Tabus. Bonneau: „Während man den Computer eines Kollegen benutzen darf, empfindet das ein anderer Kollege schon als übergriffig.“
Tabuthema Ossis und Wessis
Saller kennt noch andere verbreitete Tabuthemen. Eines betrifft „Ossis und Wessis“. „Da erwähnt eine Führungskraft in Frankfurt am Main, dass der schwierigste Mitarbeiter aus den fünf neuen Bundesländern komme. Alle Kollegen nicken beipflichtend“, berichtet Saller aus seiner Beratungspraxis. „In Frankfurt an der Oder erhält eine Unternehmensberaterin einen Auftrag, weil sie ebenfalls aus dem Osten kommt. Geredet wird über diese Verhaltensweisen natürlich nur hinter vorgehaltener Hand.“
Ein weiteres Tabu ist die „Macht des Expertentums“. Saller: „Aktuell gibt es offenbar in vielen Firmen einen Notstand an qualifizierten Software-Entwicklern..” Das führe dann dazu, dass sich diese Experten in vielen Unternehmen Freiheiten herausnehmen, von denen andere nur träumen können. “So verbringen IT-Fachleute ganze Nachmittage am Firmen-Kicker und beschweren sich beim Personalleiter, wenn keine kalte Fassbrause mehr im Kühlschrank des Unternehmens ist.”
Lermer sieht in der Wirtschaft aber auch Tabus am Bröckeln: „Früher musste der beste Spezialist die Führungsrolle innehaben. Heute hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Chefarzt nicht unbedingt Klinikleiter sein muss.“ Diese ungeschriebene Regel gilt nicht mehr.
Tabubrüche
Um sich an Konventionen halten zu können, muss man sie erst einmal kennen. Deshalb empfiehlt Bonneau neuen Mitarbeitern, genau wahrzunehmen, wie sich die anderen Beschäftigten verhalten und daraus Schlüsse zu ziehen. Bei den vielen unterschiedlichen Tabus laufen gerade die Neuen Gefahr, ins Fettnäpfchen zu treten. Ist so etwas passiert, rät die Benimm-Expertin zu einer schnellen Entschuldigung. „Eine Rechtfertigung ist dabei fehl am Platz.“
Neben dem Tabubruch aus Unwissenheit, gibt es auch das bewusste Verletzen von Normen. „Beschäftigte können zum Beispiel nur zum Schein mitspielen oder offen aufbegehren“, betont Hofert. “Unterlaufen Mitarbeiter offensichtlich die Regeln, führt das oft dazu, dass sie zum Omega-Wolf werden … zu einem schrägen Vogel, der aber toleriert wird.”
Vorsicht Tabubruch!
Lermer warnt allerdings Berufstätige davor, ohne Not Tabus zu brechen: „Wer das macht, schadet seiner Reputation im Betrieb. Es reicht nicht, das Bewerbungsverfahren erfolgreich zu durchlaufen. Auch als Angestellter muss man Selbstmarketing betreiben. Dazu gehört, ein positives Image zu pflegen und zu unterfüttern.“ Biete ein Mitarbeiter Grund fürs Fremdschämen, schade er sich.
Im Umgang mit Normen schlägt Saller ein differenziertes Vorgehen vor: „Manche Tabus schützen vor schlimmen Folgen. Bei anderen lohnt es sich, über Tabubrüche nachzudenken … dann aber bitte nie zu konfrontativ und abrupt!“ Der Coach unterscheidet grundsätzlich drei Möglichkeiten mit den Regeln umzugehen … nach dem Motto „Love it, change it or leave it“. Also entweder solte der Beschäftigte die Norm akzeptieren, an einer Veränderung arbeiten oder das Unternehmen verlassen, wenn er gar nicht mit ihr leben kann. „Dann ist es allemal besser, eine intelligente Exit-Strategie zu entwickeln als gegen Windmühlen anzukämpfen“, betont Saller.
Regelbrüche müssen aber nicht immer negative Konsequenzen haben. Hofert: „Gerade jemand, der sich nach zwanzig Jahren als Erster traut, ein Tabu zu brechen, kann Karriere machen.“
Fragen an Sie:
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Meine Linkempfehlungen:
- Mein Artikel “Duzen oder Siezen im Beruf: Unternehmenskulturen verändern sich”: blog.anjaschreiber.de/duzen-oder-siezen-im-beruf-unternehmenskulturen-veraendern-sich
- Elisabeth Bonneau: bonneau.de
- Svenja Hofert: karriereundentwicklung.de
- Dr. Stephan Lermer: lermer.de
- Thomas Saller: saller-consult.com
Meine Literaturempfehlung:
- Thomas Saller, Sebastian Mauder, Simone Flesch: Tabu. Versteckte Regeln und ungeschriebene Gesetze in Organisationen, 208 Seiten, Haufe Lexware (Freiburg) 2016, 29,95 Euro.
(Hauptartikel veröffentlicht in der Berliner Zeitung, Oktober 2016)
(Copyright 2017 by Anja Schreiber)