Per Du mit dem Chef und ohne Dresscode: Was früher im beruflichen Alltag die Ausnahme war, setzt sich immer mehr durch. Und das gilt nicht nur für die Startup-Szene, in der lockere Umgangsformen und flache Hierarchien schon immer dazugehörten. Auch in weltweit agierenden Konzernen findet ein Umdenken statt. Dabei geht es nicht nur um den formalen Umgang miteinander, sondern vielmehr um ein neues Verständnis von Führung.
Für wen dieser Artikel besonders interessant ist:
- Sehnsüchtige, Berufseinsteiger, Berufserfahrene und Neustarter.
In diesem Artikel erfahren Sie:
- Wie sich Unternehmenskulturen ändern.
- Welche Vor- und Nachteile Siezen und Duzen haben.
- Linkempfehlungen
Duz-Kultur hält Einzug in den Arbeitsalltag
“Generell ist der Umgang in den Firmen deutlich lockerer geworden”, betont die Berliner Kommunikationstrainerin Nandine Meyden. “Oft gibt es gar keine Kleiderordnung mehr und untereinander wird sich geduzt.” Auch viele andere Höflichkeitsrituale verlieren zunehmend an Bedeutung. “Früher war es Usus, dass ein Mitarbeiter seinen Chef als Zeichen des Respekts zuerst begrüßte.” Heute grüßt derjenige, der den Anderen als Erstes erblickt … unabhängig von der Hierarchiestufe.
Das Du setzt sich immer mehr durch
“Bei einem jungen Chef ist es oft üblich, dass er und das Team sich duzen. Aber ich habe es eher selten erlebt, dass die Chefsekretärin eines Großunternehmens ihren Vorgesetzen mit Du anredet”, berichtet Meyden. Sie rechnet aber damit, dass sich mit der nachrückenden Generation das “Du” weiter durchsetzt.
Der 29-jährige Dominic Blank kennt verschiedene Unternehmenskulturen. Er ist Gründer des Startups POSpulse und war zuvor dualer Student und Account Manager bei der Siemens AG absolviert. “Das sind zwei ganz unterschiedliche Welten.” Entscheidend sei gar nicht so sehr, ob sich die Mitarbeiter duzen oder nicht, sondern wie die Zusammenarbeit aussieht. “Es gab bei Siemens zwar einen ‘Casual Friday’, an dem man ohne Krawatte im Büro erscheinen konnte. Aus meiner Erfahrung waren die Entscheidungswege in großen Konzernen aber sehr lang und oft verpufften die eigenen Ideen.”
Die Unternehmenskultur der Startups
Nach seinem Studium erkannte Blank, dass die Arbeit im Konzern ihn unzufrieden machte. “Das war ein Nine-to-five-Job. Aber so wollte ich nicht mein ganzes Leben lang arbeiten.” Deshalb ging der gebürtige Neuruppiner in die USA und absolvierte dort ein MBA-Studium mit dem Schwerpunkt Unternehmertum. In dieser Zeit war Blank an der Gründung mehrere Startups beteiligt. Als er wieder zurückkam, hatte er den Wunsch, auch in Deutschland ein Unternehmen zu gründen.
Das Startup POSpulse unterstützt Hersteller und Handelsunternehmen, indem es für sie Optimierungspotentiale beim Verkauf von Produkten im Einzelhandel entdeckt. Das geschieht mit Hilfe von 40.000 Shoppern, die mit der eigens entwickelten App “ShopScout” Informationen sammeln. “Bei uns gibt es eine Kultur des Ausprobierens. Jeder Mitarbeiter kann Vorschläge machen. Gute Ideen setzen wir sofort um”, so Blank. “Wir alle wollen schnell lernen und immer besser werden, um unsere Kunden möglichst gut zu unterstützen. Deshalb ist es wichtig, dass wir auch Fehler verzeihen.”
Die besondere Kultur bei POSpulse sieht Blank in der Identifikation des Teams mit der Firma. “Bei uns wird auf Augenhöhe kommuniziert. Wir alle entwickeln uns weiter und das macht Spaß.”
Duzen löst nicht alle Probleme
Die Benimmexpertin Meyden weiß, dass mit der veränderten Anrede nicht automatisch alle Probleme im Berufsleben verschwunden sind. “Auch bei flachen Hierarchien müssen Führungskräfte Mitarbeitern ein negatives Feedback geben oder sie sogar entlassen. Dann kann das Siezen, das immer eine gewisse Distanz schafft, sogar hilfreich sein.”
Auch Kerstin Till, Berliner Wirtschaftspsychologin und Businesscoach, betont: “Für die Beschäftigten hat das ’Sie’ auch eine Schutzfunktion. Denn das Duzen suggeriert eine größere Nähe und Bindung. Wird die Beziehung aber durch das Verhalten des Chefs beschädigt, sind Teammitglieder oft besonders verletzt.”
Duzen im Bedeutungswandel
Selbst wenn das “Du” freundschaftlich wirkt, bleibt das Verhältnis zwischen Chef und Team dennoch eine Arbeitsbeziehung. Meyden: “Das ‘Du’ hat einen Bedeutungswandel durchgemacht. War es in den 1950er Jahren nur in Familien und im engen Freundesskreis üblich, ist es heute sehr verbreitet. Es signalisiert aber nicht mehr unbedingt vertraute Nähe.”
Businesscoach Till warnt davor, die Du-Anrede zu überhöhen: “Wenn man sich im Unternehmen duzt, ist das noch kein Garant dafür, dass die Kommunikation gut funktioniert. Auch in solchen Firmen kommt Mobbing vor.” Arbeitsprozesse in einem Betrieb mit einer Duz-Kultur seien keineswegs automatisch besser als dort, wo man die traditionelle Anredeform benutzt.
Außenkommunikation im Unternehmen: Die Suche nach dem richtigen Weg
Der lockere Umgang intern bringt eine weitere Frage mit sich: Wie kommuniziert man mit Kunden und Geschäftspartnern? Wenn sich untereinander alle duzen, heißt das nicht automatisch, dass die externe Kommunikation ähnlich leger verlaufen kann. “Viele Startups und junge Firmen kontaktieren deshalb so einen Coach wie mich”, berichtet Benimtrainerin Meyden.
Bei diesen Trainings geht es keineswegs darum, den Mitarbeitern feine Tischmanieren beizubringen, sondern die Unternehmenskultur zu reflektieren. “Ich bin Sparringspartnerin. So suche ich mit den Betrieben nach authentischen Umgangsformen, die Vertrauen und Seriosität vermitteln.”
Respekt ist entscheidend
Auch im Umgang mit Kunden legt Blank Wert auf Professionalität. “Wichtig ist, dass wir gegenüber unseren Geschäftspartnern respektvoll auftreten. Ob wir Duzen oder Siezen, hängt von der Situation ab.” Während in den POSpulse-Büroräumen in der Sonnenallee jeder das anzieht, was er will, passt sich Blank bei Geschäftsterminen schon an. Dann trägt er Sakko und Hemd. Schließlich gehören zu seinen Kunden auch Mondelēz International, Storck und Vodafone. “Im Anzug gehe ich aber nicht zu solchen Terminen. Das wäre unauthentisch!”
Das vermehrte Duzen im Beruf bringt für Bewerber ein Problem mit sich: War ein Jobsuchender früher mit dem “Sie” auf der richtigen Seite, ist das heute längst weniger eindeutig. “Es gibt natürlich Firmen wie Amazon oder Ikea, in denen das ‘Du’ obligatorisch ist. Auch bei Startups ist das so”, betont Businesscoach Till.
Vorsicht beim Du im Vorstellungsgespräch!
Bei anderen Unternehmen rät die Psychologin hingegen zur Vorsicht. Wenn zwei Betriebsangehörige sich duzen, ist das keine automatische Einladung, dies ebenfalls zu tun. Ihr Tipp: Die Stellenausschreibungen und Websites genau studieren, um so mehr über die Unternehmenskultur herauszufinden. “Kandidaten sollten lieber höflich und zurückhaltend agieren, anstatt gleich zu duzen. Am Besten beobachten sie die Betriebsangehörigen und fragen im Zweifelsfall offen nach, welche Anrede üblich ist.”
Selbst wenn geduzt wird, heißt das noch keineswegs, dass die Rangordnung keinerlei Rolle spielt. Till: “Nur bei Startups mit zwei bis vier Leuten gibt es keine Hierarchie. Doch je größer ein Unternehmen, desto wichtiger ist die Organisationsstruktur.” Allerdings setzte sich bei Großkonzernen die Erkenntnis durch, dass zu viele Hierarchiestufen kontraproduktiv sind. “Dort dauern Entscheidungsprozesse zu lang. Das kostet Ressourcen.” Deshalb sei die Entscheidung für ein Lean Management mit weniger Hierarchiestufen ein Wettbewerbsvorteil. “Auch die Attraktivität als Arbeitgeber steigt damit.”
“Leadership 2020” bei der Daimler AG
So geht die Daimler AG in Sachen Führung neue Wege: “Unter dem Thema ’Leadership 2020′ entwickeln suchen weltweit 144 Führungskräfte des Unternehmens ein neues Führungsleitbild. Dabei soll die Firmenkultur berücksichtigen, dass alle Mitarbeiter mitgestalten und Verantwortung übernehmen wollen“, berichtet Ursula Schwarzenbart. Sie ist als Managerin bei der Daimler AG für Talententwicklung und Diversität zuständig.
“Künftig sollen unsere Beschäftigten beispielsweise Entscheidungen auf der niedrigstmöglichen Hierarchieebene treffen. Damit wollen wir agiler und effizienter werden und Innovationen beschleunigen.” Denn auf jeder Ebene hätten die Daimler-Mitarbeiter gute Ideen, die sie auch umsetzen und weiterentwickeln sollten.
Kulturwandel bei Daimler
Schon heute ist der Kulturwandel im Konzern erkennbar. “Bei uns gibt es keinen Dresscode mehr. Haben noch vor fünf Jahren in der Verwaltung fast alle Mitarbeiter Krawatte und Anzug getragen, ist das heute bunt gemischt und Polohemd und Jeans sind an der Tagesordnung.” Der Vorstand sei dabei ein Vorbild. Denn auch er käme zu Sitzungen in Jeans.
Auch das “Du” hat inzwischen beim Stuttgarter Automobillkonzern Einzug gehalten .”Es ist wie ein positiver Virus“, berichtet Schwarzenbart. “So habe ich meine drei Abteilungsleiter gefragt, ob sie mit dem Duzen einverstanden wären. Und sie waren es!”
Fragen an Sie:
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- Wie sieht die Unternehmenskultur bei Ihrem Arbeitgeber aus?
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Meine Linkempfehlungen:
- Nandine Meyden: www.etikette-und-mehr.de
- Kerstin Till: till-coaching.de
- POSpulse: www.pospulse.com
- Daimler ermöglicht Mitarbeitern mehr Freiraum beim mobilen Arbeiten: daimler.com
(Hauptartikel veröffentlicht in der Berliner Zeitung, September 2016)
(Copyright 2016 by Anja Schreiber)
Es ist immer wieder spannend, wie jedes Unternehmen für sich diese Frage beantwortet. Ich habe diesen Wandel schon lange durch und habe bisher positive Erfahrungen damit gesammelt. Meine Gedanken dazu habe ich im Blog bei STACHOWITZ hinterlassen. http://stachowitz-medien.de/blog/stachowitz-ist-per-du-warum-im-blog-und-website-geduzt-wird
Lieber Frank, vielen Dank für Deinen Kommentar! Ich finde Deine Überlegungen zum Thema Duzen sehr interessant. Vielen Dank für das Teilen des Links! Liebe Grüße Anja