Berufliche Neuorientierung: “Womit will ich mein Geld verdienen?”

Wer unzufrieden im Job ist, gekündigt wurde oder an beruflicher Perspektivlosigkeit leidet, für den stellt sich die Frage: Wie geht es weiter? Eine Möglichkeit ist, sich beruflich neu zu orientieren … auch noch im späteren Lebensalter. Doch damit das auch gelingt, ist eine gründliche Selbstreflexion und eine klare Zieldefinition unbedingt erforderlich.

Wie Sie sich beruflich neu orientieren.
Wie Sie sich beruflich neu orientieren.

Für wen dieser Artikel besonders interessant ist:

  • Berufserfahrene und Neustarter.

Bei dem 41jährigen Marc Weyersberg hat der berufliche Neustart hervorragend funktioniert. Er ist heute Inhaber der “Kupfermanufaktur Weyersberg” (www.kupfermanufaktur.com) in Herrenberg und produziert hochwertiges Kupferkochgeschirr. Dabei war der studierte Betriebswirtschaftler lange Jahre als Verkaufsleiter Süddeutschland und Key Account Manager Gesamtdeutschland einer renommierten Marke im Bereich Kochgeschirre angestellt. “Im Lauf der Jahre merkte ich eine zunehmende Unzufriedenheit mit meinem Job. Es gab Änderungen in der Vertriebspolitik, die ich für problematisch hielt.”

Die Lust, austzusteigen

Mit dem Frust im Job stieg die Lust, auszusteigen. “Aber mir fehlte der Mut”, betont Weyersberg. Schließlich bekleidete er eine gutbezahlte und attraktive Position bei einer Markenfirma. Dennoch nahm die Frustration zu, denn es kam auch noch zum Zerwürfnis zwischen ihm und der Unternehmensleitung. Auch wenn Weyersberg nicht so recht wusste, wohin sein Weg führen sollte, war er sich sicher, dass in seinem Berufsleben eine Änderung anstand. Deshalb ging er im Herbst 2008 zu dem Karrierecoach Thomas Götze aus Stuttgart.

“Mich trieben verschiedene Fragen an: Was will ich in meinen Leben noch erreichen? Womit will ich künftig mein Geld verdienen?”, berichtet Weyersberg, dem in dieser Zeit gekündigt wurde. Heute empfindet der Betriebswirtschaftler diesen Umstand als Glück, denn durch diese Kündigung bekam er die Gelegenheit, sich ernsthaft mit Alternativen zu seiner bisherigen Tätigkeit auseinanderzusetzen. Dabei wurde ihm deutlich, dass er selbst ein Unternehmen leiten wollte.

“In dieser Zeit erfuhr ich, dass der Inhaber einer Kupfermanufaktur sein Unternehmen verkaufen wollte. Durch die damals herrschende Finanzkrise war es mir möglich, diese Manufaktur zu einem erschwinglichen Preis zu erwerben”, berichtet Weyersberg. Sein Plan war es, hochwertiges Kochgeschirr aus Kupfer zu produzieren. “Damit habe ich mir eine Nische im Markt gesucht und durch die Verarbeitung von Kupfer bei Kochgeschirr auch ein Alleinstellungsmerkmal gefunden.”

Der Weg in die Selbständigkeit

Inzwischen schreibt Weyersbergs Kupfermanufaktur schwarze Zahlen: “Ich habe berechtigte Hoffnung, dass mein Weg in die Selbständigkeit richtig war. Noch nie habe ich so viel Spaß bei der Arbeit gehabt und mit so viel Energie und Euphorie Hindernisse bewältigt.”

Karriere-Coach Thomas Götze hat schon viele seiner Klienten bei der beruflichen Neuorientierung begleitet: “Die Ausgangslage meiner Klienten ist sehr unterschiedlich. Die einen wollen sich verändern und machen das aus einer Position der Stärke heraus, die anderen müssen sich verändern, weil sie zum Beispiel gekündigt wurden.” In diesem Fall beginnen seine Klienten die Neuorientierung vielfach aus einer Position der Schwäche und spürbarer Betroffenheit heraus.

Am Beginn steht die Selbstreflexion

Doch egal wie die Ausgangslage auch aussieht: Am Beginn jeder Neuorientierung steht die Selbstreflexion und Beschäftigung mit dem Ist-Zustand. Dazu gehört neben der Reflexion über die aktuelle berufliche Situation auch die Beschäftigung mit den eigenen Stärken und Kompetenzen.”Das ist ein wichtiger, klärender Schritt, denn er schafft ein Bewusstsein darüber, auf welches Kompetenzprofil der Klient alles kann zurückgreifen kann”, erklärt Götze. “Er zeigt außerdem, in welchen Berufsfeldern er künftig arbeiten kann. Oft ist das Berufsspektrum, das sich aus dieser Analyse ergibt, sehr groß.” In einem nächsten Schritt geht es dann darum, herauszufinden, was den Berufstätigen Spaß macht und ihn motiviert.

Götze rät, eine Liste mit all den Kriterien anzulegen, die der neue Beruf unbedingt erfüllen muss, damit der Wechselwillige künftig ein erfüllenderes Berufsleben als bisher hat. “Schreiben Sie aber auch auf, welche Rahmenbedingung wünschenswert, aber nicht unbedingt notwendig wären. Mit diesen Listen haben Sie ein klares Suchraster für Ihren neuen Beruf.”

Die Selbstreflexion allein reicht aber oft nicht aus, um einen erfolgreichen Berufswechsel zu initiieren. Deshalb empfiehlt Götze auch den Austausch mit anderen. “Es muss nicht unbedingt ein Coach sein, aber lassen Sie sich bei Ihrer Neuorientierung von einem Außenstehenden – zum Beispiel einem guten Freund – begleiten.” Denn dieser kann dabei helfen, Selbst- und Fremdwahrnehmung miteinander zu vergleichen und den Blickwinkel zu weiten. Natürlich sollte der Freund möglichst unvoreingenommen sein und keine persönliche Motive einbringen.

Rahmenbedingungen klären

Hat sich so ein neues Berufsziel herauskristallisiert, geht es nun darum herauszufinden, ob seine Umsetzung realistisch ist. “Fragen Sie sich, ob Ihre Familie Ihre berufliche Neuorientierung mittragen kann”, erklärt Götze. Auch Jürgen Weiger, Teamleiter der Arbeitsvermittlung bei der Arbeitsagentur Stuttgart empfiehlt, sich über die finanziellen Konsequenzen einer Umschulung oder gar einer weiteren Ausbildung sehr konkrete Gedanken zu machen und das auch mit der Familie abzustimmen. “Wir als Arbeitsagentur können nur Leute fördern, die noch keine Berufsausbildung haben”, betont Weiger.

Neben den finanziellen Rahmenbedingungen rät der Arbeitsvermittler Wechselwilligen auch, sich genau über die Arbeitsmarktchancen zu informieren: “Recherchieren Sie im Internet, wie der Arbeitsmarkt in der Branche aussieht, in die Sie einsteigen wollen. Gibt es freie Stellen auf dem regionalen Arbeitsmarkt oder nur überregional?” Weiger empfiehlt auch, vorab zu klären, mit welchen technischen Entwicklungen Sie künftig rechnen müssen und welche Zukunftsaussichten Ihr neuer Beruf hat.

(Veröffentlicht in Stuttgarter Zeitung, Juli 2011)
(Copyright 2011 by Anja Schreiber)

Anja Schreiber
Anja Schreiber arbeitet seit vielen Jahren als freie Fachjournalistin zu den Themen Bildung, Studium und Beruf. Sie schreibt unter anderem für die Berliner Zeitung, Stuttgarter Zeitung und Süddeutsche Zeitung, aber auch für Hochschulmagazine, Onlinemedien und eine wissenschaftliche Publikation. Außerdem bloggt sie regelmäßig.