Wer als Jugendlicher mit extremem Übergewicht kämpft, hat meist auch beim Berufseinstieg Probleme. Schließlich erfordern viele Berufe körperliche Fitness. Deshalb reagieren Arbeitgeber oft ablehnend. Doch es gibt keinen Grund für junge Leute mit Gewichtsproblemen, den Kopf in den Sand zu stecken. Das zeigt das Beispiel der 17-jährigen .Jasmin: Eine medizinisch-berufliche Rehabilitationsmaßnahme ermöglicht ihr eine Ausbildung … und inzwischen purzeln auch ihre Kilos.
Für wen dieser Artikel besonders interessant ist:
- Auszubildende, Berufseinsteiger, Schulabgänger und Eltern.
Im vergangenen Jahr hat sie in Bayern ihre Mittlere Reife gemacht. Aber sie bekam trotz zahlreicher Bewerbungen keinen Ausbildungsplatz. “Immer wieder signalisierten mir Arbeitgeber, dass sie mich nehmen würden, wenn mein Übergewicht nicht wäre.” So rückte ihr Berufswunsch Hebamme, Krankenschwester oder Hotelfachfrau in weite Ferne. “Auch ein Amtsarzt meinte, dass ich diese Ausbildungen mit meinem Übergewicht nicht schaffen würde.” Erst beim Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands (CJD) in Berchtesgaden bekam sie die Chance, eine Ausbildung zur Bürokauffrau zu absolvieren. Gleichzeitig wird sich auch um ihre Gesundheit gekümmert … mit Erfolg. Seit September hat Jasmin 9,5 Kilo abgenommen. Sie wiegt inzwischen keine 90 Kilo mehr und auch ihre Leberwerte haben sich verbessert. Berchtesgaden ist für sie in jeder Hinsicht ein Glücksgriff, schließlich macht ihr auch die Ausbildung “megaviel Spaß”.
Scheitern am Sporttest
Dass Jugendliche mit großem Übergewicht Probleme beim Berufseinstieg haben, weiß auch Petra Kuberg, Berufsberaterin bei der Arbeitsagentur Berlin-Süd. “Wer zum Beispiel bei der Polizei oder der Feuerwehr eine Ausbildung absolvieren möchte, muss vorher einen Sporttest machen. “Für stark übergewichtige Jugendliche ist der Sporttest oft schwierig. Sie packen den Test häufig aufgrund mangelnder Fitness nicht”, berichtet Kuberg. In den öffentlichen Verwaltungen können sich viele überzählige Kilos ebenfalls negativ auswirken. “Schließlich ist dort eine Untersuchung durch einen Amtsarzt üblich … und der kann bei krankhaftem Übergewicht Bedenken haben.” Außerdem kann die Körperfülle bei der Verbeamtung zum beruflichen Hindernis werden.
Kuberg kennt das Problem aber auch aus anderen Branchen und Berufen. “Ich hatte zum Beispiel mal den Fall eines Jugendlichen, der eine kaufmännische Ausbildung machen wollte und keine Lehrstelle fand. Erst als er 38 Kilo abgenommen hatte, bekam er eine positive Resonanz.” Der Grund dafür liegt auf der Hand: Übergewichtigen wird unterstellt, dass sie weniger beweglich und belastbar sind als normalgewichtige Bewerber. “Oft hängt die Bereitschaft, Jugendlichen mit Übergewicht eine Chance zu geben, von der Einstellung der Personalverantwortlichen ab. Sind diese selbst füllig, findet der Berufseinsteiger oft mehr Verständnis.”
Die Berufsberaterin Petra Kuberg kennt das ganze Spektrum von Jugendlichen mit Übergewicht: “Da gibt es solche, die kommunikativ und offen sind. Diese punkten mit ihrer Art und haben meist keine Probleme.” Andere Jugendliche fühlen sich dagegen in ihrer Haut nicht wohl und strahlen das auch aus. Diese erleben dann meist Ablehnung.
Auch Jasmin musste feststellen, dass ihre Gewichtsprobleme immer größer statt kleiner wurden … obgleich sie verschiedene Therapien durchlaufen hat. “Alles begann bei mir im Alter von neun Jahren. Da fing ich heimlich zu essen an und wurde immer moppeliger. Meine Mutter hat zuerst nichts gemerkt”, berichtet Jasmin offen. Erst im Alter von elf Jahren wurde dann in einer Kinderklinik ihre Essstörung entdeckt. Es folgten verschiedene Therapieversuche. Doch die Ergebnisse waren ernüchternd. So legte Jasmin zum Beispiel im Jahr 2010 bei einer sechsmonatigen stationären Therapie zehn Kilo zu. “In dieser Zeit hatte ich richtige Fressanfälle. Ich habe an einem Tag so viel gegessen wie gesunde Menschen normalerweise in einer Woche.” Das war für Jasmin und ihre Familie extrem belastend.
Wenn die Berufsberaterin Petra Kuberg erkennt, dass das Übergewicht des Jugendlichen zum beruflichen Stolperstein werden könnte, spricht sie das Problem ganz offen an und sucht gemeinsam mit dem Betroffenen nach Lösungen. “Oft helfen schon äußerliche Veränderungen bei der Kleidung oder der Frisur. Das beeinflusst das Körpergefühl meist positiv und verbessert so die Ausstrahlung.” Hilft das nicht, bespricht sie mit dem Berufseinsteiger andere Maßnahmen. “Grundsätzlich haben medizinische Rehabilitationsmaßnahmen Vorrang vor der beruflichen Reha. Deshalb schicke ich die Jugendlichen im Zweifelsfall zu einer ärztlichen Untersuchung.” Ist eine normale Ausbildung aufgrund krankhaften Übergewichts nicht möglich, unterstützt die Arbeitsagentur die Jugendlichen zum Beispiel mit berufsvorbereitenden oder ausbildungsbegleitenden Maßnahmen. Kuberg: “Von uns geförderte Praktika helfen den Jugendlichen zum Beispiel, positive Erfahrungen zu machen und stärken so ihr Selbstbewusstsein.” Außerdem kann die Arbeitsagentur auch eine Ausbildung finanziell unterstützen.
Zu einer dieser von den Arbeitsagenturen geförderten Maßnahmen gehört auch das Angebot des CJD Berchtesgaden. Dieses Zentrum für medizinisch-schulische und medizinisch-berufliche Rehabilitation betreut und fördert chronisch kranke Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aus ganz Deutschland. “Wir bieten sowohl vorberufliche Trainingsprogramme als auch Ausbildungsgänge an”, berichtet Sieglinde Pfannebecker, Leiterin der beruflichen Rehabilitation des CJD Berchtesgaden. So können sich junge Leute in handwerklichen, hauswirtschaftlichen und kaufmännischen Berufen orientieren, aber auch reguläre Ausbildungen absolvieren, wie zum Beispiel als Hotelfachleute, Kaufleute oder als Köche. Wenn Jugendliche andere Berufswünsche haben, versucht die Einrichtung, darauf einzugehen: “Wir bemühen uns in Kooperation mit einheimischen Betrieben, Ausbildungsplätze zu organisieren.”
Nur der Sonntag ist sportfrei
Doch das Reha-Zentrum hat nicht nur den beruflichen Erfolg ihrer Schützlinge im Blick, sondern auch die Gesundheit. So betreuen Pädagogen, Ernährungsberater, Sporttherapeuten, Ärzte und Psychologen die Jugendlichen. Eine ausgewogene gesunde Ernährung und viel Bewegung half Jasmin, viele Kilos abzunehmen. “Neben der Arbeit habe ich täglich noch ein zwei- bis dreistündiges Sportprogramm. Dazu gehören Schwimmen und Ballspiele genauso wie Kraft- und Ausdauertraining. Nur sonntags ist sportfrei”, erklärt Jasmin. “Das ist natürlich sehr anstrengend, es macht aber auch viel Spaß.” Und so purzelten ihre Pfunde ganz automatisch. Das ist nicht nur bei Jasmin so, sondern auch bei den anderen übergewichtigen Jugendlichen aus ihrer Gruppe.
“Damit die Kosten übernommen werden, muss die Arbeitsagentur einen Bedarf feststellen”, erklärt Pfannebecker. Deshalb geht einem Aufenthalt in Berchtesgaden immer eine medizinische Untersuchung voraus. Sie empfiehlt Jugendlichen und ihren Eltern, die Berater bei den Arbeitsagenturen auf Reha-Maßnahmen anzusprechen: “Informieren Sie sich und bringen Sie Ihre Ideen und Vorschläge in die Gespräche bei der Arbeitsagentur mit ein. Werden Sie selbst aktiv und warten Sie nicht einfach darauf, was Ihnen angeboten wird.”
(Veröffentlicht bei der Berliner Zeitung, Februar 2014)
(Copyright 2014 by Anja Schreiber)
Toller Beitrag! Gerade erst über Google gefunden.
Herzlichen Dank für das Lob! Ihnen alles Gute! Herzliche Grüße Anja Schreiber