Nein-Sagen im Beruf: Grenzen ziehen können

Der Chef überhäuft den Mitarbeiter mit Arbeit, Kollegen bitten ständig um Hilfe … viele Berufstätige kennen diese Situation. Sie werden immer wieder gedrängt, Ja zu sagen. Doch genau das ist das Problem: Denn vor lauter Beschäftigung bleiben ihre eigenen wichtigen Aufgaben auf der Strecke. Die einzig wirksame Strategie dagegen ist, Nein-Sagen zu lernen.

Nein-Sagen im Beruf.
Nein-Sagen im Beruf.

Für wen dieser Artikel besonders interessant ist:

  • Auszubildende, Berufseinsteiger und Berufserfahrene.

In diesem Artikel erfahren Sie:

  • Warum Nein-Sagen wichtig ist.
  • Warum ein Nein schwerfällt.
  • Wie sich Nein-Sagen trainieren lässt.
  • Tipps auf einen Blick.
  • Linkempfehlungen.
  • Literaturempfehlung.

Richtig “Nein-Sagen” im Job hilft bei der Karriere

Der Karriereberater und Buchautor Martin Wehrle weiß, warum dies Berufstätigen oft so schlecht gelingt: „Weil sie fürchten, im Ansehen zu sinken. Sie werden dafür bezahlt, Probleme für ihren Chef zu lösen – und nicht, ihm welche zu machen.“ Außerdem sehen sich viele Arbeitnehmer auch moralisch unter Druck: „Oft sind die Personaldecken so dünn, dass jeder denkt: ‚Wenn ich jetzt ablehne, bleibt es an einem Kollegen hängen.‘“

Doch das Ja-Sagen schafft neue Probleme: „Die Quote der Burnout-Kranken hat sich in sechs Jahren verelffacht. Heute hat niemand nur deswegen Feierabend, weil er nach Hause gegangen ist. Denn die neuen Medien sind wie trojanische Pferde: Sie schmuggeln die Arbeit hinter die Mauern des Privatlebens“, analysiert Wehrle. Er beschäftigt sich in seinem aktuellen Buch „Sei einzig, nicht artig“ mit dem Thema Nein-Sagen. „Wer seine Grenzen nicht definiert, hat keinen Feierabend mehr und arbeitet rund um die Uhr. Ein solcher Lebenslauf geht steil nach oben – aber dann kommt der große Knick und die Einweisung in die Burnout-Klinik.“

Nein ist eine Chefvokabel

Außerdem kann die ausgeprägte Bereitschaft zum Ja noch in anderer Weise der Karriere schaden: „Nein ist eine Chefvokabel! Nur wer sie beherrscht, kann in der ersten Karriereliga mitspielen“, betont Wehrle. Denn ein Chef muss zum Beispiel Rabattwünsche, Urlaubsanträge oder Gehaltsforderungen ablehnen können. „Wer Nein sagt, gibt damit zu erkennen, dass er Ja zu etwas Größerem sagt: zu konkreten Zielen, zu persönlichen Grundsätzen.“ Und genau das verschafft Respekt.

Gerade Frauen haben das Problem, dass ihnen das Nein-Sagen besonders schwer über die Lippen kommt: „Sie achten sehr auf Beziehungen. Deshalb fällt es ihnen auch schwerer, Bitten abzulehnen“, betont die Münchner Buchautorin Isabel Nitzsche, die auch als Business-Coach arbeitet. „Frauen leben eher in einer Geltungshierarchie: Es ist wichtig, bei anderen etwas zu gelten, akzeptiert und gemocht zu werden.“ Das sei bei Männern anders: „Sie leben in einer Dominanzhierarchie. Deshalb ist auch ihre Rangordnung bis zum nächsten Kampf stabil, im Gegensatz zur instabilen Geltungshierarchie.“

Frauen fällt ein Nein besonders schwer

Im beruflichen Alltag sieht das dann oft so aus: Während Mitarbeiterinnen fleißig jeden Auftrag abarbeiten, lassen die Männer schon mal etwas liegen oder delegieren es an Andere. Nitzsche: „Irgendwann stellen dann Frauen fest, dass jüngere Männer sie in Sachen Karriere überrunden, unterdessen sie sich ständig um den Kopierer kümmern.“ Das sei der Moment, an dem vielen Frauen dämmert, dass es Wichtigeres im Job gibt als Harmonie. Es ist der Respekt!

Wehrle hat selbst erlebt, wie sich das Wort Nein positiv auf seinen eigenen Berufsweg ausgewirkt hat: „Schon als Abiturient habe ich energisch Nein gesagt zur nächtlichen Abschiebung einer jugoslawischen Asylfamilie mit Kleinkindern“, berichtet der Karriereberater. „Dafür bin ich verklagt und von zwei Gerichten wegen angeblicher ‚Beleidigung‘ verurteilt worden – bis mich das Bundesverfassungsgericht unter Vorsitz von Roman Herzog freigesprochen hat.“ Damals hatte die Süddeutsche Zeitung ihm eine Seite-3-Reportage gewidmet. Das war für ihn einer der Gründe, warum er in den Journalismus gegangen ist. Ein anderes Mal hat er eine gut dotierte Stelle als Chefredakteur gekündigt, um Freiberufler zu werden. Im Vorfeld hatten ihm davon viele Freunde abgeraten. „Doch mein Nein zu diesen Bedenken hat sich gelohnt: Als Autor und Karriereberater habe ich meine wahre Erfüllung gefunden.“

Unentbehrlich für das Selbstmanagement

Auch die Berliner Kommunikationstrainerin Nandine Meyden weiß, dass das Wort Nein unentbehrlich für das Selbstmanagement ist. „Im Beruf wie im Privatleben muss sich jeder abgrenzen. Sonst übernimmt er zu viele Aufgaben und am Ende häufen sich die Fehler.“ Wer Arbeiten nicht termingerecht umsetze, schade seinem Image und wirke nicht professionell.

Das Ja-Sagen kann also großen Schaden anrichten … nicht nur für einen selbst, sondern auch für die Firma. Deshalb empfiehlt Nitzsche, den Ja-Automatismus auszuschalten. „Das heißt nicht, dass zum Beispiel Frauen ihre soziale Fähigkeiten total abtrainieren müssen.“ Aber der vorauseilende Gehorsam sei ein Problem. „Die Dosierung macht es. Sich mal um das Kopierpapier zu kümmern ist okay, aber nicht immer. Das gilt für Männer und Frauen“, betont Nitzsche. Wer auf die Frage ’Kannst Du mal eben‘ immer mit einen Ja reagiert, gilt eben nicht als durchsetzungsstark. „Zudem übernimmt so jemand häufig Aufgaben, die oft wenig Wertschätzung erfahren.“

Nein-Sagen lässt sich trainieren

Nitzsche trainiert in ihren Durchsetzungsseminaren für Frauen mit den Teilnehmerinnen, Nein zu sagen. „Das lässt sich trainieren, zum Beispiel im Rollenspiel. Oft klappt es nicht gleich beim ersten Mal“, berichtet die Businesstrainerin. Denn häufig drücken die Frauen sich anfangs unklar aus. Auch ihre Körperhaltung lässt zu wünschen übrig. Sie haben eine gebeugte Haltung oder neigen sich Ihrem Gegenüber zu stark zu. „Beim zweiten und dritten Mal ist das schon viel besser. Die Frauen sitzen oder stehen aufrecht und schauen geradewegs ins Gesicht ihres Gesprächspartners.“

Auch die Benimmtrainerin Marlies Smits aus Großhansdorf bei Hamburg rät notorischen Ja-Sagern, das Nein zu trainieren. „Es ist hilfreich, ablehnende Antworten im privaten Bereich zu üben. So kann man zum Beispiel an der Wursttheke auf 200 Gramm Schinken bestehen.“ Wer so handelt, lernt die Reaktion des Verkäufers auszuhalten. Er verliert die Angst vor negativen Emotionen.

Respekt und Wertschätzung zählen

„Jeder sollte sich klar machen, dass ein Ja nicht automatisch höflicher ist als ein Nein. Wer zum Beispiel ein Ja unwillig vor sich hinmurmelt, wirkt unfreundlicher als jemand, der wertschätzend Nein sagt“, erklärt Smits. Deshalb ihr Tipp: Dem Fragenden aufmerksam und respektvoll zuhören. Wenn aus der Frage nicht klar wird, welche Umfang die Arbeit hat, sollten Berufstätige nachhaken, wie viel Zeit die Hilfeleistung voraussichtlich in Anspruch nehmen wird.

Besonders heikel ist es natürlich, wenn ein Vorgesetzter zusätzliche Bitten an seinen Mitarbeiter richtet. Doch auch in diesem Fall ist sich Smits sicher: „Wer Zusatzaufgaben gut erledigen will, muss bei seinem Chef im Zweifelsfall nachfragen, wie dringend die Aufgabe zu erledigen ist oder ob Anderes warten soll.“ Erwartet die Führungskraft etwas Unmögliches, sollte der Betroffene das nicht einfach stillschweigend ertragen, sondern mit Fakten belegen, dass die Arbeit so nicht zu schaffen sei. „Auch ein Chef wird ein Nein akzeptieren oder sogar schätzen, wenn er sich darauf verlassen kann, dass die Qualität sichergestellt ist.“

Um Bedenkzeit bitten

Auf Kollegenebene empfiehlt Meyden ebenfalls eine kurze Begründung für die ablehnende Antwort. „Eine langatmige Rechtfertigung ist aber unpassend. Der Angefragte sollte einfach nur kurz eine Erklärung geben, dass er zum Beispiel einen Termin hat.“

Wer ungern Nein sagt, der kann sich durch das Erbitten von Bedenkzeit Luft verschaffen. Smits: „In diesem Fall reicht es aber nicht, den Fragenden auf eine unbestimmte Zeit zu vertrösten. Besser ist es, ihm einen ganz konkreten Zeitpunkt zu nennen, zu dem er eine Antwort erwarten kann. Und natürlich muss man sich an diese selbst gesetzte Deadline halten.“

Nach Lösungen im Interessenkonflikt suchen

So problematisch das Ja-Sagen auch ist … auch eine ausweichende Kommunikation – um etwa ein Nein zu vermeiden – ist im beruflichen Alltag ein echtes Problem. „Wenn Kollegen oder Vorgesetzte drum herumreden und ausweichen, ist die Angelegenheit nicht einfach vom Tisch. Ganz im Gegenteil: Meist eskaliert das Gespräch dadurch nur, weil der Anfragende weiter auf eine Antwort dringt“, betont Meyden. Sie empfiehlt deshalb beiden Seiten, möglichst lösungsorientiert an das Gespräch heranzugehen und proaktiv nach Wegen aus dem Interessenskonflikt zu suchen. Doch dafür braucht es eine klare Position. Und die ist immer vonnöten, um konstruktiv Ja oder Nein sagen zu können.

Tipps auf einen Blick:

  • Seien Sie vorsichtig bei allzu schnellen Zusagen! Überlegen Sie, ob Sie zu oft Ja sagen.
  • Bitten Sie sich Bedenkzeit aus und sagen Sie zu einem bestimmten Zeitpunkt Ihre Entscheidung zu. Halten Sie sich an diese von Ihnen vorgegebene Deadline.
  • Wenn Sie eine Bitte abschlagen, sollten Sie das in einem höflichen und freundlichen Ton tun.
  • Auch gegenüber dem Chef kann das bloße Abnicken zum Problem werden. Deshalb ist es ratsam, bei zusätzlichen Aufträgen zu fragen, was man zuerst erledigen soll und welche Priorität einzelne Aufgaben haben.
  • Das Nein-Sagen lässt sich üben, zum Beispiel in Alltagssituationen.

Fragen an Sie:

Ich freue mich, dass Sie diesen Artikel gelesen haben! Jetzt möchte ich Ihnen ein paar Fragen stellen:

  • Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Nein-Sagen gemacht?
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Meine Linkempfehlungen:

Meine Literaturempfehlung:

    • Martin Wehrle: Sei einzig, nicht artig! So sagen Sie nie mehr ja, wenn Sie nein sagen wollen, 384 Seiten, Mosaik (München) 2015, E-Book: 11,99 Euro, Buch: 14,99 Euro.


(Hauptartikel veröffentlicht in der Berliner Zeitung, Januar 2016)
(Copyright 2016 by Anja Schreiber)

Anja Schreiber
Anja Schreiber arbeitet seit vielen Jahren als freie Fachjournalistin zu den Themen Bildung, Studium und Beruf. Sie schreibt unter anderem für die Berliner Zeitung, Stuttgarter Zeitung und Süddeutsche Zeitung, aber auch für Hochschulmagazine, Onlinemedien und eine wissenschaftliche Publikation. Außerdem bloggt sie regelmäßig.

2 Kommentare

  1. Hallo Frau Schreiber, vielen Dank für diesen Artikel.

    Ich selbst (heute 54) war in jungen Jahren zu Beginn meiner Berufstätigkeit in den 1. Jahren stets mit Mehrarbeit seitens eines Kollegen betraut. Er hat mich gelobt, wie gut ich das machen würde und bat mich regelmäßig, Arbeit von ihm mit zu machen. Damals war ich sehr interessiert daran, dass mich die Menschen in meiner näheren Umgebung (auf Arbeit ist man immerhin 8 -Stunden beisammen aber auch sonst in meinem Leben) mögen und ich traute mich nicht, ‘Nein’ zu sagen – ich hatte Angst, dass man mich nicht mag. Dies zog sich im Grunde seit meiner Kindheit durch mein Leben. Erst nachdem ich Mutter wurde – mit 25 Jahren – und 3 Jahre zu Hause war, bevor ich wieder ins Berufsleben zurück kehrte – da änderte sich etwas. Ich war in meine Firma zurück gekehrt, hatte aber weder meinen Job noch meinen ‘Stand’ zurück erhalten. Ich fühlte mich aufs Abstellgleis manövriert – keine Achtung, keine Wertschätzung wurde mir entgegen gebracht. Das waren meine Wahrnehmungen und hieraus resultierende depressive Gefühle. Es brauchte dann Jahre – von 1993 – 1998 – mit wechselnden Jobs und allen möglichen Erfahrungen, die mich dann bewusst werden ließen, dass es so nicht weiter gehen kann.

    In meiner jetzigen Firma, in der ich mittlerweile 21 Jahre bin, habe ich mir zu Beginn vorgenommen, auf mich zu schauen. Ich war mir plötzlich wichtig – wichtiger als mein Umfeld. Mir war bewusst, dass ich Arbeiten muss, um leben zu können. Niemand ist für mein Wohlbefinden verantwortlich – hierfür bin alleine ich verantwortlich. Mit dieser Erkenntnis habe ich anfängliche Schwierigkeiten in meiner jetzigen Firma mit Bravour bestanden – ich habe bewusst selbst zu Vorgesetzten ‘Nein’ gesagt – und dieses dann auch begründet. Zum Teil habe ich später mich dann an den Anfragenden gewandt und ihm – wenn noch nötig – geholfen.

    Dies hat mir bis heute immens gut getan – ich mache mein Leben nicht von der Arbeit abhängig und mein Umfeld respektiert mich und ich erhalte Wertschätzung.

    Danke schön nochmal

    1. Liebe Frau Labusch, herzlichen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar! Ich glaube auch, dass es ganz entscheidend für das eigene Wohlbefinden ist, auf sich und seine Bedürfnisse zu schauen. Dazu gehört es, im Job manchmal nein zu sagen. Ich finde es sehr ermutigend, dass Sie Ihren Weg im Umgang mit dem “Nein” gefunden haben! Ihnen alles Gute! Beste Grüße Anja Schreiber

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